Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1971) (71)

DIE ENTWAFFNUNG AUF DEM SCHELLENBERG Es ereignete sich in der Nacht des Mittwoch, am 2. Mai 1945, an der Zollstrasse, die vom Ort Schellenberg über die damals durch einen Stacheldrahtverhau gesperrte Grenze nach Nofels führt. Der Winter schien zurückkehren zu wollen. Es wehte trotz der fortgeschrittenen Jahreszeit ein heftiger Schneesturm. Die beiden hier postierten Grenz- wächter hatten Grund zu besonderer, dienstlicher Aufmerksamkeit. Abgesehen davon, dass der Geschützdonner der Front tagsüber immer vernehmlicher geworden war, lief eine Meldung ein, dass eine bewaff- nete russische Abteilung in Stärke von mehreren hundert Mann die Absicht habe, von Nofels aus nach Liechtenstein zu gelangen. Gegen 23 Uhr vernahmen die Grenzwächter Motorengeräusch und Stimmen. «Eine grosse Wagenkolonne musste die Grenze bereits überfahren ha- • ben und'bewegte sich langsam bergaufwärts gegen das Zollamt.» So berichtet einer der beiden Beamten. «Der zweifache Anruf des Grenz- wächters wurde nicht beachtet. Da feuerte er auf das Vorderrad des ersten Wagens. Aus dem zweiten Wagen rief ein Adjutant: «Nicht schiessen ! Hier ist ein russischer General.»1 Er erklärte dann, der rus- sische General wünsche mit etwa 600 Mann auf liechtensteinisches Gebiet überzutreten, um sich der Gefangenschaft durch die Westalli- ierten zu entziehen. Die Kolonne bestand aus Personen- und Lastkraft- wagen, Pferdefuhrwerken und Handkarren, beladen mit Gepäck. Der anwesende Zivilinstrukteur des Grenzwacht-Rekruten-Detache- ments telefonierte sofort mit dem Chef der Eidgenössischen Grenz- wache, Obstlt. Dr. Wyss, in Schaanwald. Dieser erschien alsbald mit den Offizieren der Rekrutenschule und liess die Entwaffnung und In- ternierung der russischen Truppe durchführen. Sie machte einen man- nigfaltigen Eindruck. Vom bejahrten Manne angefangen bis zum Kna- ben herunter war alles vertreten. Die allermeisten trugen deutsche Uniformen mit einem Abzeichen in den russischen Nationalfarben am Oberarm. Nur eine kleine Anzahl war in Zivil. Im ganzen waren es 494 Personen, darunter 30 Frauen und 2 Kinder. Dieser militärischen Abteilung hatte sich tags zuvor in Feldkirch eine Anzahl ziviler Flücht- linge angeschlossen. Unter ihnen befanden sich der russische Thron- 1 Liechtensteiner Volksblatt 18. 4. 1970. 44
	        

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