Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1970) (70)

IX. Kapitel: Die konstitutionelle Neuordnung von 1862 Wollen wir den Übertritt Liechtensteins zum konstitutionellen Staat verstehen und in einen grösseren Zusammenhang einordnen, so müs- sen wir uns kurz auf das Wesen des Konstitutionalismus besinnen. Der Konstitutionalismus deutscher Prägung stand zwischen dem Absolutismus als Fürstenherrschaft und dem Parlamentarismus als Herrschaft des Parlaments. Er war bestimmt einerseits durch das Re- präsentativsystem, mit dem die süddeutschen Staaten schon früh den Absolutismus überwunden hatten, und andererseits durch das monar- chische Prinzip, mit dessen Aufrichtung durch den Deutschen Bund 1820 die konstitutionellen Verfassungen für nahezu ein Jahrhundert vor dem Ubergleiten in den Parlamentarismus bewahrt wurden. Das Repräsentativsystem, nach welchem die gewählte Volksvertretung nicht mehr nur einzelne Bevölkerungsklassen, sondern das Volksganze re- präsentierte, sicherte diesem Mitentscheidungsrechte vor allem in Gesetzgebung und Budget und integrierte die bürgerliche Gesellschaft in den monarchisch geleiteten Staat. Nach dem monarchischen Prinzip aber musste die Fülle der Staatsgewalt im Fürsten erhalten und die Volksvertretung auf die zugestandenen Mitwirkungsrechte an der Aus- übung der Staatsgewalt beschränkt bleiben. Während einerseits der Monarch sich die Exekutivgewalt, die auswärtige Gewalt und die Kom- mandogewalt — Verwaltung, Diplomatie und Heer — und damit das Machtgefüge des vorkonstitutionellen Staates auch im konstitutionellen Staat sicherte, so bedurfte andererseits die Volksvertretung zur Erlan- gung von Macht eines verantwortlichen Ministers, von dem sie Rechen- schaft fordern konnte. Indem die Minister nicht mehr nur vom Monar- chen, sondern auch vom Parlament abhängig wurden, gewannen sie aber gerade eine gewisse Selbständigkeit und Unabhängigkeit: Im Konstitutionalismus trat daher an die Stelle des persönlichen Monar- chenregimentes die Ministerregierung, während der Monarch als Staats- oberhaupt die Stellung des «pouvoir neutre et abstrait», wie sie Benja- min Constant definiert hatte, einnahm. Die hochkonservativen Vertreter des Königtums — so auch Linde — erblickten allerdings im Konstitutionalismus lediglich eine Ubergangs- 286
	        

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