Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1964) (63)

wird eine Anstalt, die auf einem ganz anderen Grunde als den Meinun- gen des Tages ruht, verfahren, wenn sie ohne Menschenfurcht, aber in Gottesfurcht ihren geraden Gang vorwärts geht, unbekümmert um jene Maßstäbe, die nur für ihre Träger passen und das Nützlichkeitsprinzip, das wie ein Gespenst in dem blühenden lebensvollen Garten der Ju- gend herumtappt, um die Blüten, die sich nach dem Lichte sehnen, mit in den kalten Schoss der Erde hinabzuziehen. Bildung ist keine Dressur oder Abrichtung zu gewissen äusseren Zwecken des Lebens, denn abrichten lassen sich auch manche Tiere zu allerlei possierlichen Kunststücken und können so ein ordentliches Stück Geld gewinnen, ihren Besitzern nämlich. Die Menschenseele ist keine Tierseele und soll daher auch nicht behandelt werden wie eine Tierseele. Dies geschieht aber, sobald man das Nützlichkeitsprinzip, das auf dem Materialismus beruht, in den Bildungsanstalten auf den Thron setzt und es anbetet wie die Juden das goldene Kalb. Man klagt über Egoismus, Gemeinheit und Niedrigkeit der Denkungsart bei de- nen, die für Gebildete gelten, über Unwissenheit, Stolz und Lieblosig- keit bei denen, welche das Licht und die Liebe, welche der hl. Johan- nes so rührend empfiehlt, vorzugsweise im Herzen haben sollen, und endlich über die Roheit und Versunkenheit der Masse. Ob diese und ähnliche Klagen begründet sind oder nicht, mag dahingestellt bleiben; die Klagen selbst sind nicht zu leugnen. Macht man aber an die Schulen die Anforderung, dass sie Abhilfe dieser Kla- gen für die Zukunft gewähren, schneidet sie aber nach jenen Maßstäben oder dem Nützlichkeitsprinzip zu, so würde man sich grob getäuscht finden, denn man würde das Übel, das man heilen wollte, unheilbar machen. Soviel sieht man klar, dass ein solches Beginnen weder selbst Bildung wäre noch Bildung zu erzeugen vermöchte. Das Gesetz der Bildung kann man kurz in den Satz zusammen- fassen: «Verhilf andern zur Selbsterkenntnis». Die Bildung besteht also in der Selbsterkenntnis, in der Erkenntnis seiner Kräfte und Fähigkeiten und in der Fertigkeit und Übung derselben, nämlich in der Selbst- beherrschung. Nicht dieses oder jenes äussere Anhängsel, nicht die Manieren machen die Bildung, auch nicht diese oder jene Kenntnis, sondern sie liegt im Selbstbewusstsein, in der Freiheit des Geistes. Eine 58
	        

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