Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1950) (50)

- 74 — war auch Nigg eine angeborene Sache. So kühn nun manchmal die künstlerischen Anleihen Niggs sind, — und es sind unmöglich zufällige Gleichgestaltungen, — so eigen finden wir sie wieder in seinem Werk; er hat diese Formen innerlich zu seinem Eigengut umgebaut. Das ist sein Accomodationstalent! Noch ein weiterer Borgang seiner Formgestaltung gehört in diesen Zusammenhang. Nigg sammelte, wenn er sich einmal eine Aufgabe gestellt, auch seine Ausdrucksformen auf eigene Weise. In seinem Nachlaß fanden sich Stöße von Bildausschnitten aus illu- strierten Zeitschriften, Büchern und dgl. zum Teil thematisch geord- net. Jahrelang wurden die Abbildungen aus dem täglichen Ge- schehen für eine bestimmte Ausdrucksform zusammengetragen und dann gewissermaßen deren Grundgehalt ausdestilliert. So lag, um nur ein Beispiel anzuführen eine umfangreiche Sammlung vorerst unverständlicher, weinender Menschen vor aus allen erdenklichen Begebenheiten: Unglücksfällen. Verbrechen, Gewalttaten, Hinrich- tungen, Schlachtfeldszenen, Massengräbern und was die letzten Jahre alles an Schrecken mit sich brachten. Es ist diesmal nicht Sammel- wut, viel weniger noch widernatürliche Lust an diesen Schreckens- bildern, die das Material zusammenträgt, sondern ein ernstes Suchen nach natürlichen Amsdrucksformen tiefsten Leids und erschütternder Qual. Was macht er damit? Jene ergreifenden Blätter der weinen- den Frauen von Jerusalem, unter dem Kreuz oder in der Bewei- nung des Leichnams Christi! Ganz gleich gings mit andern Dingen: liebliche Kinderköpfchen für sein Christkind oder die Engel, Esel für seine Weihnacht und Flucht und was er halt brauchte. Die hundert gleichartigen Abbilder natürlicher Ausdrucksformen waren für Nigg nicht etwa billiger Ersatz für teure Modelle oder für mangelnde Vorstellung, sondern vielmehr ein ernsthaftes Studium und Suchen nach gültiger Form. Der Vorgang zeigt Mangel und Geschicklichkeit in der künstlerischen Veranlagung zugleich. Er braucht und sucht Hilfe und Anregung für seine weniger schöpferische Phantasie, ist aber stark genug, alles zum geistigen Eigentum umzuschasfen und in persönlicher Freiheit und Einheit zu gestalten. Seine Darstellun- gen werden damit, weitab von einer aufgemachten, historischen Szene mit ihrem äußerlichen Drum und Dran, zum seelischen Erleb- nis. Nun erst finden wir den stillen, wortkargen Menschen irgend- wie aufgeschlossen und bekommen Einsicht in seine innere Welt,
	        

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