Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1940) (40)

— 172 — „Die Methode dieses großen Pädagogen war die einfachste von der Welt, ihr Geheimnis das der mittelalterlichen Bauhütten, der großen Schulen der Renaissance. Strengste Arbeit unter des Mei- sters Augen" sagt Sandberger in dem Nekrolog, den er nach Rheinbergers Tode 1901 für die Beilage der „Allgemeinen Zei- tung" schrieb. Ich will versuchen, diese Art und Weise des Unter- richts ein wenig zu schildern. An langen Tischen saß die kontrapunktische Tafelrunde und der Meister präsidierte obenan. Nachdem er die Reinschriften „vom letzten Male" durchgesehen hatte, bezeichnete er ein Opfer, das zur Tafel gehen mußte, und setzte sich ans Klavier, um einige Takte an- zuschlagen. „Schreiben Sie das und machen Sie in derselben Weise weiter" hieß es dann. Wehe, wenn der Betreffende nicht richtig ge- hört hatte! Die Takte wurden dann wohl noch ein- bis zweimal mit immer stärkeren Akzenten wiederholt, aber dann brach er los: „Sind Sie ein Musiker? Ein Musiker muß Ohren haben" und fügte viel- leicht den etwas bissigen Rat bei: „Werden Sie Schuster!" In seiner Klasse saßen Leute, die schon Lehrer und Organisten gewesen und in ihrer Heimat als musikalische Leuchten bewundert worden waren; mehrere trugen Volldärte, einer war verheiratet, ein anderer sogar schon Witwer; ich wurde also als das Kontrapunktkind betrachtet und war auch in der Tat ein reiner Tor, den eben nur der Umstand rettete, daß er Ohren hatte. Dieser Naturgabe hatte ich es zu ver- danken, daß ich während meines mehr als 4jährigen Studiums in jeder Stunde „daran genommen" wurde, was als die höchste Aus- zeichnung betrachtet werden mußte. Die meisten beachtete der Mei- ster nur gelegentlich, manche saßen als Ehrenmitglieder da und führten nur Protokoll über die musikalischen Ereignisse. Wenn einer einmal in den Geruch böswilliger Modernität kam, dann wurde er gar nur zum Tafelauswischen verwendet. Es ging also so zu, wie es sich für den ernsten und strengen Stil ziemt. Es war ein Ereignis, als ein Unglücklicher, der sich nicht zu helfen wußte, einmal in töd- licher Verlegenheit die verwünschte Tafel höher schrauben wollte, um wenigstens etwas zu tun, und sie dabei umwarf. Alle sprangen dienstwillig auf, und ein langer Amerikaner bemerkte: „Oh, Herr Professor, das war eine Umkehrung des Lsntu8!" Während der Meister nur kurz dazufügte: „Schreiben Sie künftig nicht so heftig!" In diesem glücklichen Glauben half er über die fatale Stelle hinweg.
	        

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