GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
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fungsverfahren eingeführt. 167 168 169 170 171 172 173 174 175 176 Es werde also mit der
Verlegung der Rekursinstanzen in Liechtenstein
«die österreichische Regel wiederum eingeführt». 177
Noch notwendiger als in Zivilsachen sei eine münd
liche Berufungsverhandlung in Strafsachen, «wo es
in manchen Fällen noch um viel höherwertige Gü
ter, um Freiheit, Ehre, Leben» gehe. 178 Offen zeigte
sich Beck gegenüber der Frage, «ob das bisherige
Schöffengericht als Gerichtshof erster Instanz zur
Beurteilung von Vergehen nicht aufgelassen werden
sollte». Dieser Gerichtshof trete fast nie in Funktion.
Die Beurteilung der Vergehensfälle könnte entwe
der dem Kriminalgerichtshof oder dem Landgericht
überwiesen werden. 179
Hinsichtlich vorgebrachter Einwände gegen das
«Laienrichtertum» wies Beck daraufhin, «dass heu
te schon in Gewerbegerichten, in Handelsgerichten
und ähnlichen beruflich und fachlich organisierten
Gerichten die moderne Gesetzgebung immer mehr
und mehr das Laienelement zur Rechtssprechung in
bürgerlichen Rechtssachen» heranziehe. Es seien
damit «im Grossen und Ganzen auch recht gute Er
fahrungen gemacht worden». «In vielen Staaten»
sei «überdies das Laienelement zur Rechtsspre
chung nicht nur in allen Strafsachen, sondern in al
len Zivilsachen herangezogen worden». Das solle
nun «teilweise auch bei uns geschehen». Die Laien
richter würden in erster Instanz nur in Strafsachen
herangezogen, dagegen beim Obergericht in allen
bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen.
Beck war «nach seinen eigenen Erfahrungen über
zeugt, dass man damit auch in Liechtenstein recht
gute Erfahrungen machen» werde und fuhr fort:
«Bei dem Übergewichte, das der rechtskundige
Richter infolge seiner Kenntnisse besitzt, ist nicht zu
befürchten, dass die beiden Laienrichter ihre eige
nen Wege gehen werden. Der Entwurf will dem Lai
enelemente wenigstens im Berufungsverfahren und
Revisionsverfahren auch die oben gestreifte, moder
ne berufs- und fachgerichtliche Ausbildung mit in
den Kreis der Regelung ziehen. Deshalb soll der
Landtag bei Auswahl der Richter und Ersatzrichter
auf den Stand der Bauern, Gewerbetreibenden, Ar
beiter und Erzieher Rücksicht nehmen, und es soll
das Gericht, wenn ein Berufskenntnisse erfordern
der Fall zur Behandlung kommt (z.B. ein speziell die
Landwirtschaft interessierender Fall, Gewährleis
tungsfall, Dienstbarkeit usw. oder, wenn ein Fall
vorliegt, bei dem ein Jugendlicher beteiligt ist und
der anderswo vor das Jugendgericht gehört), ent
sprechend besetzt werden.» 180
Unter Verweis auf «Akten im Regierungsarchiv»
und die historischen Publikationen von Peter Kaiser
und Albert Schädler verglich Beck die anstehende
Reform der Gerichtsorganisation mit der Landam
mannverfassung vor 1720: «Geschichtlich sei daran
167) Vgl. dazu: Beck, Kommissionsbericht; Beck, Bericht; Ritter,
Karlheinz; Ospelt, S. 241 f.; Wille, Herbert; Oehry, Organisation;
Oehry, Fürst und Volk; Kohlegger, Richter in Liechtenstein; Wasch
kuhn, Justizrechtsordnung; Fürst und Volk; Waschkuhn, Politisches
System, S. 191-208; Berger; Pallinger; Wille, Herbert: Gerichtswesen
seit 1921. Artikel im Historischen Lexikon für das Fürstentum
Liechtenstein.
168) Auskunft Rupert Quaderer vom 22. Februar 2008 über das 10-
Punkte-Programm vom 18. Dezember 1918.
169) Vgl. oben, S. 56-75.
170) Auskunft Rupert Quaderer vom 22. Februar 2008 über das
Parteiprogramm der Volkspartei vom 18. Januar 1919.
171) Verfassung des Fürstentums Liechtenstein vom 5. Oktober 1921
(LGB1. 1921, Nr. 15), Art. 97, 101, 105, 108.
172) In der Literatur wird, wohl ausgehend von der geübten Beset
zungstradition der Gerichte, verschiedentlich behauptet oder zumin
dest der Eindruck erweckt, die Laienmehrheit in sämtlichen Gerich
ten sei gesetzlich zwingend vorgeschrieben worden. Vgl. Kohlegger,
Richter in Liechtenstein, S. 286; Waschkuhn, Justizrechtsordnung,
S. 40; Fürst und Volk, S. 217-222; Berger, S. 265.
173) LLA RE 1919/071; RE 1920/1887; RE 1921/963.
174) LLA RE 1925/2255; LTA 1925/L 05.
175) Beck, Bericht. - Der gedruckte Bericht ist undatiert. Wilhelm
Beck dürfte seinen wesentlichen Inhalt am 16. März 1922 in der
Finanzkommission des Landtags vorgetragen haben, die den vorge
legten Entwurf der neuen Gerichtsorganisation zur Beratung im
Landtag verabschiedete. Der Bericht war wohl auch die Grundlage
für das allgemeine Referat, das Beck in der Landtagssitzung vom
28. März 1922 über das Gerichtsorganisationsgesetz gehalten hatte
(LLA Landtagsprotokolle 1922).
176) Ebenda, S. 2.
177) Ebenda, S. 5.
178) Ebenda, S. 6.
179) Ebenda, S. 7.
180) Ebenda, S. 8.