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dann seinen Gesetzesentwurf entsprechend umge
arbeitet. 145 Gleichzeitig mit der Verabschiedung der
Zivilprozessordnung 1912 setzte der Landtag er
neut eine Siebnerkommission ein, die die überar
beitete Strafprozessordnung beraten sollte. Im Jahr
darauf wurde die Vorlage im Landtag behandelt. Die
Kommission setzte sich in ihrem Bericht insbeson
dere mit der Frage der Einrichtung einer zweiten
Gerichtsinstanz im Lande auseinander und begrün
dete die Beibehaltung des bisherigen Instanzenzugs
im Wesentlichen mit den gleichen Argumenten wie
beim Zivilprozess. Die Differenzen aus den Jahren
1906 und 1907 waren ausgeglichen und für die Jus
tizreform eine gemeinsame Basis gefunden worden.
Mit Ausnahme des Instanzenzugs waren in der neu
en Strafprozessordnung alle damals vom Landtag
gemachten Vorschläge berücksichtigt. Die Vorlage
wurde einstimmig verabschiedet. 146
Bezüglich der Beteiligung von Laien im Untersu
chungsverfahren, der Zusammensetzung der Ge
richtshöfe und der Einsitznahme von Laien brachte
die Reform keine Änderungen. 147 Nach wie vor hatte
das Landgericht als Kriminalgericht bei der Erfor
schung von Verbrechen und bei einem Augenschein
in bestimmten Fällen zwei Gerichtszeugen beizuzie
hen. 148 Der Zuzug von Gerichtszeugen war schon
1884 beschränkt worden. 149 Wohl weil in der Praxis
Gerichtszeugen nicht mehr häufig aufgeboten wer
den mussten, war auf das von der Regierung durch
zuführende Nominierungsverfahren für Gerichts
zeugen verzichtet worden. Zur kollegialen Beset
zung des Landgerichts bei der Schlussverhandlung
waren neben drei geprüften rechtskundigen Rich
tern und einem Protokollführer zwei beeidete Lai
enrichter (Schöffen) erforderlich. Diese wurden von
Fall zu Fall vom Landgericht aus den vom Landtag
auf die Dauer von drei Jahren gewählten sechs
Schöffen ausgelost. Sie waren gleich stimmberech
tigt wie die geprüften Richter. 150 Im Verfahren über
Vergehen war das Landgericht als Schöffengericht
zuständig, das sich aus einem geprüften Richter und
zwei Laienrichtern zusammensetzte. 151
FRIEDENSRICHTER UND VERMITTLER 152
Die Tradition der Friedensrichter und Vermittler
reicht weit zurück. Nach der Amtsinstruktion von
1719 konnten örtliche Amtsträger «bürgerliche
Streitigkeiten» zwischen ihren Gemeindsleuten
schlichten und entscheiden. 153 Im ersten Gemeinde
gesetz des Landes, der 1810 erlassenen «Gerichts
instruktion», war ein Teil der Gerichtspflege eben
falls den lokalen Amtsträgern übertragen. 154 Dazu
zählten die «gütliche Beilegung einer jeden Streitsa
che, bevor sie zur amtlichen Kenntnis kommt», 155
Schuldklagen bis 25 Gulden 156 und damit allenfalls
verbundene Exekutionen und Pfändungen. 157 In den
nachfolgenden Gemeindegesetzen von 1842 und
1864 waren solche Kompetenzen nicht mehr ent
halten. Der Entwurf eines Gerichtsorganisationsge-
145) Bericht über die Landtagssitzung vom 11. und 12. Dezember
1911. Beilage zu Nr. 50 des Liechtensteiner Volksblatt, Jg. 1911.
Gemäss Auskunft des Stadtarchivs Wien vom 12. Januar 2009
handelt es sich bei Kraus um den im Wiener Adressenverzeichnis
1911 verzeichneten Dr. jur. Rudolf Kraus, k.k. Bezirksrichter, wohn
haft im 3. Bezirk, Gärtnergasse 1.
146) LLA Landtagsprotokoll, 8. November 1913. Beilage zu Traktan
dum 1 der Landtagssitzung vom 8. November 1913: Gesetzentwurf
zur Reform des Strafprozesses. Bericht der Siebnerkommission über
den Gesetzentwurf zur Reform des Strafprozesses im Fürstentum
Liechtenstein.
147) Gesetz vom 31. Dezember 1913 betreffend die Einführung
einer Strafprozessordnung (LGB1. 1914, Nr. 3).
148) Ebenda, §§ 35, 36, 37, 60.
149) Vgl. oben, S. 66.
150) Gesetz vom 31. Dezember 1913 betreffend die Einführung
einer Strafprozessordnung, § 169.
151) Ebenda, § 294.
152) Vgl. dazu: Schädler, Landtag. - Zur historischen Entwicklung in
Europa, besonders in Deutschland und in der Schweiz, vgl. Kross,
S. 19-68, 107-120.
153) Vgl. oben, S. 43-45.
154) «Gerichts-Instruction für die Gemeinde Vadutz vom 1. Januar
1810». Drittes Hauptstück. §§ 35-61 (LLA Historische Rechtsquel
len).
155) Ebenda, § 35.
156) Ebenda, §§ 36-41.
157) Ebenda, §§ 37-57.