GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
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läge aus. Angesichts der Wichtigkeit der Sache wur
de die Abstimmung über den Kommissionsantrag
auf die nächste Sitzung vertagt.
Am 16. Dezember 1907 wurde die Beratung über
den Antrag der Siebner-Kommission zur Justizre
form fortgeführt. Zu Beginn wurde eine Erklärung
der drei fürstlichen Abgeordneten vorgetragen. Die
se bedauerten, dass sich die Regierung im Vorjahr
wegen unliebsamer Vorkommnisse veranlasst gese
hen hatte, ihre Vorlage zurückzuziehen. Die Vorlage
hätte verbessert und schliesslich angenommen wer
den können. «Bei der Kleinheit unseres Landes und
der Beschränktheit unserer Mittel müssen wir uns
nach der Decke strecken und können nicht alles ge
nau so einrichten wir grosse Staaten», hiess es in
der Erklärung. Die Mehrheit des Volkes wolle von
der mit grossen Kosten verbundenen Anstellung ei
nes Staatsanwaltes nichts wissen, deshalb bean
tragten sie die Ablehnung des Kommissionsantra
ges. Darauf wurde ihnen entgegnet, sie würden da
mit die Unabhängigkeit der Justiz von der Verwal
tung aufheben und damit «das von unsern Altvor
dern schwer erkämpfte Werk der Verfassung
durchlöchern». Wenn man dem Landtag eine solche
Handlung zumute, «müssten sich unsere Vorfahren
im Grabe umdrehen.» Die Entgegnung wurde durch
vielfache Bravo-Rufe verstärkt, ebenfalls das Votum
des Landtagspräsidenten, der sich klar für die Re
form äusserte: «Die Frage sei jetzt: Entweder eine
zeitgemässe gründliche Reform oder der alte Zu
stand mit allen seinen Übelständen.» Da sich die Ge
müter erhitzt hätten, ersuchte der Präsident die Ab
geordneten, die den Kommissionsantrag annehmen
wollten, «im Interesse der Sache von einer weiteren
Debatte abzusehen». Der Kommissionsantrag wur
de schliesslich in namentlicher Abstimmung von
zwölf Abgeordneten angenommen. Dagegen stimm
ten die drei fürstlichen Abgeordneten. Der Landtag
beschloss im Weiteren, «die von ihm ausgesproche
nen Wünsche und Vorschläge bezüglich eines neu zu
schaffenden Justizgesetzes in Form einer Immedia
teingabe ... dem Fürsten zu unterbreiten.» Der Lan
desausschuss wurde beauftragt, eine entsprechen
de Petition vorzubereiten. 129 130 131 132 133 134 Sie wurde 1908 an den
Fürsten gerichtet und enthielt die bereits genannten
Forderungen nach «ganzer Arbeit mit der Reform
des Zivil- und Strafprozessverfahrens», insbesonde
re nach der Errichtung einer zweiten Berufungsin
stanz sowohl in zivilrechtlichen als auch in straf
rechtlichen Prozessverfahren im Lande selbst, um
so das öffentliche und mündliche Verfahren auch
bei dieser Instanz zu ermöglichen. Die Petition wur
de mit fürstlichem Erlass vom 9. Oktober 1908 be
antwortet. Der Fürst nahm die Vorschläge mit Inte
resse entgegen, da er ja selbst 1906 eine Justizre
form angeregt hatte. Er war «zu einer durchgreifen
den Reform der einschlägigen Gesetze» bereit. Er
hatte die Vorschläge des Landtags durch Fachleute
prüfen lassen. Die geplanten Reformen erforderten
umfassende Erhebungen, Studien und Vorarbeiten.
«Um in dieser Beziehung den Wünschen des Land
tages entgegen zu kommen, werde Ich für die Aus
arbeitung der betreffenden Gesetzentwürfe theore
tisch gebildete und praktisch bewährte Fachmän
ner berufen und behalte Mir über das Ergebnis der
bezüglichen Arbeiten die weitere Schlussfassung
vor», hiess es abschliessend im Erlass des Fürs
ten. 135 In der Folge gab die Regierung ihre bisheri
gen Standpunkte auf, und der Fürst beauftragte, wie
angekündigt, Fachleute mit der Ausarbeitung neuer
Vorlagen für den Zivil- und Strafprozess. 136
129) LLA Landtagsprotokoll, 16. November 1907.
130) LLA Landtagsprotokolle, 14. und 16. Dezember 1907. Beilage
zu Traktandum 1: Antrag der Siebner-Kommission betreffend die
Justizreform.
131) Dr. Josef Peer, Jurist, Anwalt (1864-1925), Bürgermeister der
Stadt Feldkirch 1901-1909, Hofrat am Verwaltungsgerichtshof in
Wien 1917-1925, Landesverweser in Liechtenstein 1920/21.
132) LLA Landtagsprotokolle, 14. und 16. Dezember 1907.
133) Bericht über die Landtagssitzungen vom 14. Dezember 1907.
Beilage zu Nr. 51 des Liechtensteiner Volksblatt, Jg. 1907.
134) Bericht über die Landtagssitzungen vom 16. Dezember 1907.
Beilage zu Nr. 1 des Liechtensteiner Volksblatt, Jg. 1908.
135) LLA Landtagsprotokolle. Beilage zu Traktandum 1 der Land
tagssitzungen vom 11. und 12. Dezember 1911: Gesetzentwürfe zur
Reform des Zivilprozesses. Referat des Landtagspräsidenten Albert
Schädler.
136) Schädler, Landtag, JBL 12 (1912), S. 41-44 und JBL 21 (1921),
S. 14-16.