GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
63
Einrichtung vereitelt wird. Um dies noch mehr zu
verhüten, wäre bezüglich der Reihenfolge bei der
Abstimmung die gesetzliche Norm, dass die Schöf
fen vor den Fachrichtern ihre Stimme abzugeben
haben, jedenfalls sehr angezeigt. Wir vermögen in
der Verstärkung des Laienelements im Gerichtshöfe
für die Rechtsprechung nicht nur keine Gefahr zu
erblicken, sondern halten die Heranziehung des
Laienelements zur Rechtssprechung aus mehr als
einem Grunde für höchst gedeihlich. Wollte man
hieran etwas Bedenkliches finden, so müsste man
das Laienelement überhaupt geradezu ausschlies-
sen. Dass aber hierin in der Tat keine Gefahr liege,
beweist denn doch das Faktum zur Genüge, dass
alle anderen freiheitlichen Gesetzgebungen gerade
die schweren und politischen Verbrechen vor das
Forum der Volksjustiz, vor die Jury verweisen.»
Neuner erachtete die Einführung des Geschwore
neninstituts in Liechtenstein für erspriesslich und
nicht schwierig. Abschliessend meinte er: «Fort mit
dem total veralteten schriftlichen und peinlichen
Verhör des Beschuldigten, an dessen Stelle vielmehr
frisches mündliches und unmittelbares Verfahren
zu treten hat.»
Gutachten von Carl Otto Würth, Chur
Der Landesausschuss und weitere beigezogene
Landtagsabgeordnete machten, gestützt auf das
Gutachten Neuners verschiedene Änderungen und
Zusätze zur Gesetzesvorlage der Regierung. Die so
überarbeitete Vorlage und ein Entwurf eines Moti-
venberichts wurden einem gewissen «Dr. Wirth»,
Chur, 101 102 zur Begutachtung übergeben. «Wenn das
vor mir liegende Strafgesetz für das Fürstentum
Liechtenstein vom Jahre 1803 heute noch in allen
seinen Bestimmungen zur Anwendung komme, wie
möchte sich da ein Sterblicher noch des Lichtes er
freuen!» leitete Carl Otto Würth seine Stellungnah
me ein, datiert vom 19. November 1880. 103 Er be
merkte dann, dass alle bisher eingeholten Rechts
gutachten schonungslos den Stab über den Entwurf
der Regierung brächen. Dennoch riet er dem Land
tag ab vom Grundsatz <Alles oder nichts» Er solle
auf die Vorlage eintreten, die doch wesentliche Ver
besserungen enthalte. Sie sei ein gemischtes System
von Mündlichkeit und Schriftlichkeit des Verfah
rens. Würth setzte sich im Weiteren mit verschiede
nen Aspekten und Grundsätzen des Strafprozesses
auseinander. Zur Art der Laienbeteiligung bemerkte
er wörtlich: «Wenn Sie die Grundsätze der Gleichbe
rechtigung, der Mündlichkeit, der Öffentlichkeit und
Unmittelbarkeit möglichst gewahrt wissen wollen,
so setze ich voraus, dass Sie einesteils von dem An
klageverfahren und andernteils von dem Geschwo
reneninstitut Umgang nehmen wollen. Diese beiden
Einrichtungen eignen sich nicht für das kleine Land
mit den wenigen Tausenden von Einwohnern, abge
sehen davon, dass sie sich auch in grösseren Staa
ten mitunter wenig bewährten und deshalb zum Teil
erheblich beschränkt, wo nicht geradezu abge
schafft wurden. Das in der Regierungsvorlage be-
zeichnete Gericht mit Schöffen - unter Modifikatio
nen - würde ich der Jury unbedingt vorziehen. Wie
auch die Schöffen oder Gerichtsbeisitzer gewählt
werden mögen, so haben sie immer entschiedene
Vorzüge und ein grösseres Anrecht auf Vertrauen,
als diese betitelten Geschworenen.» Würth resü
miert dann den ihm vorgelegten Entwurf. Danach
sollte die Untersuchung durch den Landrichter und
Aktuar unter Beizug von zwei Gerichtszeugen ge
führt werden. Die Gerichtsbeisitzer sollten die Ver
handlungen des Untersuchungsrichters kontrollie
ren und ergänzen und sowohl Beschuldigte als auch
Zeugen befragen können. Der Landtag hatte zwölf
101) Ebenda: Gutachten Dr. Neuner, Innsbruck, als Beilage zum
Sitzungsprotokoll des Landesausschusses vom 8. Februar 1881
(29 Seiten).
Der in den Akten mit «Dr. Neuner, Innsbruck» bezeichnete Autor des
Gutachtens ist gemäss Auskunft des Tiroler Landesarchivs vom 22.
Januar 2009 wohl mit Dr. jur. Josef Neuner, Oberlandesgerichtsrat in
Innsbruck (1827-1892) zu identifizieren.
102) Gemäss Auskunft des Stadtarchivs Chur vom 13. Januar 2009
ist mit «Dr. Wirth» der in Chur tätige Advokat Carl Otto Würth
(1803-1884) gemeint. Würth war Mitglied der Frankfurter National
versammlung 1848/49 und kam als politischer Flüchtling aus
Sigmaringen nach Graubünden. Er wurde 1857 in Medel (GR)
eingebürgert.
103) LLA RE 1881, Nr. 240: Gutachten Dr. Wirth, Chur, als Beilage
zum Sitzungsprotokoll des Landesausschusses vom 8. Februar 1881.
Beim Gutachten liegt der Entwurf einer offensichtlich vom Landes
ausschuss überarbeiteten Strafprozessnovelle.