Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2010) (109)

GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN 
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT 
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Einrichtung vereitelt wird. Um dies noch mehr zu 
verhüten, wäre bezüglich der Reihenfolge bei der 
Abstimmung die gesetzliche Norm, dass die Schöf 
fen vor den Fachrichtern ihre Stimme abzugeben 
haben, jedenfalls sehr angezeigt. Wir vermögen in 
der Verstärkung des Laienelements im Gerichtshöfe 
für die Rechtsprechung nicht nur keine Gefahr zu 
erblicken, sondern halten die Heranziehung des 
Laienelements zur Rechtssprechung aus mehr als 
einem Grunde für höchst gedeihlich. Wollte man 
hieran etwas Bedenkliches finden, so müsste man 
das Laienelement überhaupt geradezu ausschlies- 
sen. Dass aber hierin in der Tat keine Gefahr liege, 
beweist denn doch das Faktum zur Genüge, dass 
alle anderen freiheitlichen Gesetzgebungen gerade 
die schweren und politischen Verbrechen vor das 
Forum der Volksjustiz, vor die Jury verweisen.» 
Neuner erachtete die Einführung des Geschwore 
neninstituts in Liechtenstein für erspriesslich und 
nicht schwierig. Abschliessend meinte er: «Fort mit 
dem total veralteten schriftlichen und peinlichen 
Verhör des Beschuldigten, an dessen Stelle vielmehr 
frisches mündliches und unmittelbares Verfahren 
zu treten hat.» 
Gutachten von Carl Otto Würth, Chur 
Der Landesausschuss und weitere beigezogene 
Landtagsabgeordnete machten, gestützt auf das 
Gutachten Neuners verschiedene Änderungen und 
Zusätze zur Gesetzesvorlage der Regierung. Die so 
überarbeitete Vorlage und ein Entwurf eines Moti- 
venberichts wurden einem gewissen «Dr. Wirth», 
Chur, 101 102 zur Begutachtung übergeben. «Wenn das 
vor mir liegende Strafgesetz für das Fürstentum 
Liechtenstein vom Jahre 1803 heute noch in allen 
seinen Bestimmungen zur Anwendung komme, wie 
möchte sich da ein Sterblicher noch des Lichtes er 
freuen!» leitete Carl Otto Würth seine Stellungnah 
me ein, datiert vom 19. November 1880. 103 Er be 
merkte dann, dass alle bisher eingeholten Rechts 
gutachten schonungslos den Stab über den Entwurf 
der Regierung brächen. Dennoch riet er dem Land 
tag ab vom Grundsatz <Alles oder nichts» Er solle 
auf die Vorlage eintreten, die doch wesentliche Ver 
besserungen enthalte. Sie sei ein gemischtes System 
von Mündlichkeit und Schriftlichkeit des Verfah 
rens. Würth setzte sich im Weiteren mit verschiede 
nen Aspekten und Grundsätzen des Strafprozesses 
auseinander. Zur Art der Laienbeteiligung bemerkte 
er wörtlich: «Wenn Sie die Grundsätze der Gleichbe 
rechtigung, der Mündlichkeit, der Öffentlichkeit und 
Unmittelbarkeit möglichst gewahrt wissen wollen, 
so setze ich voraus, dass Sie einesteils von dem An 
klageverfahren und andernteils von dem Geschwo 
reneninstitut Umgang nehmen wollen. Diese beiden 
Einrichtungen eignen sich nicht für das kleine Land 
mit den wenigen Tausenden von Einwohnern, abge 
sehen davon, dass sie sich auch in grösseren Staa 
ten mitunter wenig bewährten und deshalb zum Teil 
erheblich beschränkt, wo nicht geradezu abge 
schafft wurden. Das in der Regierungsvorlage be- 
zeichnete Gericht mit Schöffen - unter Modifikatio 
nen - würde ich der Jury unbedingt vorziehen. Wie 
auch die Schöffen oder Gerichtsbeisitzer gewählt 
werden mögen, so haben sie immer entschiedene 
Vorzüge und ein grösseres Anrecht auf Vertrauen, 
als diese betitelten Geschworenen.» Würth resü 
miert dann den ihm vorgelegten Entwurf. Danach 
sollte die Untersuchung durch den Landrichter und 
Aktuar unter Beizug von zwei Gerichtszeugen ge 
führt werden. Die Gerichtsbeisitzer sollten die Ver 
handlungen des Untersuchungsrichters kontrollie 
ren und ergänzen und sowohl Beschuldigte als auch 
Zeugen befragen können. Der Landtag hatte zwölf 
101) Ebenda: Gutachten Dr. Neuner, Innsbruck, als Beilage zum 
Sitzungsprotokoll des Landesausschusses vom 8. Februar 1881 
(29 Seiten). 
Der in den Akten mit «Dr. Neuner, Innsbruck» bezeichnete Autor des 
Gutachtens ist gemäss Auskunft des Tiroler Landesarchivs vom 22. 
Januar 2009 wohl mit Dr. jur. Josef Neuner, Oberlandesgerichtsrat in 
Innsbruck (1827-1892) zu identifizieren. 
102) Gemäss Auskunft des Stadtarchivs Chur vom 13. Januar 2009 
ist mit «Dr. Wirth» der in Chur tätige Advokat Carl Otto Würth 
(1803-1884) gemeint. Würth war Mitglied der Frankfurter National 
versammlung 1848/49 und kam als politischer Flüchtling aus 
Sigmaringen nach Graubünden. Er wurde 1857 in Medel (GR) 
eingebürgert. 
103) LLA RE 1881, Nr. 240: Gutachten Dr. Wirth, Chur, als Beilage 
zum Sitzungsprotokoll des Landesausschusses vom 8. Februar 1881. 
Beim Gutachten liegt der Entwurf einer offensichtlich vom Landes 
ausschuss überarbeiteten Strafprozessnovelle.
	        

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