Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2010) (109)

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in jeder Gemeinde ein Friedensgericht, bestehend 
aus Gemeindevorsteher und vom Landtag bestimm 
ten Mitgliedern, sowie in jeder Landschaft ein Ober 
friedensgericht vor. Als zweites Gericht sollte in je 
der Landschaft ein Landgericht, bestehend aus ei 
nem Landrichter und zwei «der Verfassung und der 
Gesetze des Landes wohl kundigen Rechtsmän 
nern» errichtet werden. Dritte Instanz sollte ein 
Obergericht in Vaduz bilden, bestehend aus den Be 
amten der Landesregierung und unter dem Vorsitz 
des Landesverwesers, «die alle der Landesgesetze 
vollkommen kundig sein» mussten. In Strafsachen 
sollten die Schwurgerichte über Schuld oder Nicht 
schuld entscheiden. 66 
Entwurf des Verfassungsrats 
Die Anschauungen Peter Kaisers und Franz Josef 
Oehris fanden Eingang in die Arbeit des vom Volk 
gewählten Verfassungsrates. Der vom Verfassungs 
ausschuss dem Fürsten vorgelegte Entwurf sah das 
mündliche und öffentliche Gerichtsverfahren 67 , den 
Anklageprozess und Schwurgerichte in Strafsa 
chen 68 vor. Wie in Gesetzgebung und Verwaltung 
sollte «die höchste Gewalt auch in der Rechtspflege 
beim Fürsten und Volke vereint» sein. 69 Es waren 
drei Gerichtsinstanzen vorgesehen, als erste in der 
Grafschaft Vaduz und der Herrschaft Schellenberg 
je ein Bezirksgericht, als zweite das Landgericht in 
Vaduz und als dritte das Revisionsgericht und der 
oberste Gerichtshof in Wien. 70 Alle Mitglieder des 
Bezirksgerichts waren durch den Landtag zu wäh 
len. 71 Ihm stand auch die Wahl von vier Mitgliedern 
des Landgerichts zu, das unter dem Vorsitz des Lan 
desverwesers stand. 72 Auch Schiedsgerichte waren 
zulässig. 73 Der Grundrechtskatalog gewährleistete 
dem einzelnen u. a. Gleichheit vor dem Gesetz, 
Recht auf den zuständigen Richter und die Teilnah 
me an der Gerichtsbarkeit durch Schwurgerichte. 
Die konstitutionellen Übergangsbestimmungen 
von 1849 setzten eine Reihe von Artikeln des von 
der Volksvertretung eingereichten Verfassungsent 
wurfes provisorisch in Kraft, insbesondere jene, die 
besagten, dass die höchste Gewalt in Gesetzgebung, 
Verwaltung und Rechtsprechung «beim Fürsten 
und Volke vereint» liege. Die Funktionen der Recht 
sprechung wurden aber noch weggelassen. Nur die 
Friedensgerichte in beiden Landschaften wurden 
grundsätzlich gutgeheissen. 74 Der vom Landtag 
nach den Wünschen des Fürsten revidierte und am 
14. Januar 1850 beschlossene Verfassungsentwurf 
wollte das Gerichtswesen in allen drei Instanzen im 
Lande halten. Er sah die Volkswahl der Richter, die 
Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens und 
die Zulässigkeit von Schiedsgerichten vor. Der Ent 
wurf gelangte wie alle früheren Verfassungsentwür 
fe nicht zur Verwirklichung. 
Nach dem Scheitern der Revolution in den deut 
schen Einzelstaaten setzte sich auch in Liechten 
stein die Reaktion durch. Mit fürstlichem Erlass vom 
20. Juli 1852 wurden die provisorischen Verfas 
sungsbestimmungen ausser Kraft gesetzt. Die alte 
Rechtsordnung und die Landständische Verfassung 
von 1818 erlangten wieder volle Wirksamkeit. 75 Da 
mit verschwanden auch alle Ansätze zu einer Laien 
beteiligung in der Gerichtsbarkeit. 
Liechtenstein war 1843 von der «automati 
schen» zur so genannten «autonomen» Rezeption 
der österreichischen Gesetze übergegangen. In en 
ger Anlehnung an das österreichische Vorbild wur 
den eigenständige liechtensteinische Gesetze erlas 
sen. In diesem Anpassungsprozess geriet das Land 
allmählich in immer grösseren Rückstand zur Ent 
wicklung in Österreich. So wurde die Novelle zum 
österreichischen Strafgesetz (1852) in Liechtenstein 
erst auf den 1. Januar 1860 in Kraft gesetzt. 76 Zu 
nächst resultierten aus diesem Rückstand in der 
Rechtsanpassung keine wesentlichen Unterschiede 
in Rechtsprechung und Gerichtsorganisation. Denn 
auch in Österreich war man zum absolutistischen 
System zurückgekehrt. Man hatte den Inquisitions 
prozess in gemilderter Form wieder eingeführt und 
wesentliche Prozessprinzipien der Reform von 
1848/49 abgeschafft. Für eine Laienbeteiligung in 
der Rechtsprechung gab es in beiden Ländern kaum 
Raum. 77 
Die österreichische Strafprozessordnung von 
1853 sah eine geringfügige Laienbeteiligung ledig 
lich noch im Untersuchungsverfahren vor. 78 Die Er 
hebung des Tatbestandes hatte der Untersuchungs 
richter oder das zuständige Gericht in Gegenwart
	        

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