GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
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mäss § 351 und § 368 des Strafgesetzes der Beweis
der Schuld hergestellt. Gerichtszeugen sollten Jahr
zehnte später im Untersuchungsverfahren eine
ganz andere Rolle spielen und Interessen des Volkes
wahren. 56
Von den Gerichtsbeamten in fürstlichen Diensten
wurden besondere Qualifikationsmerkmale ver
langt. Sie mussten die staatliche (österreichische)
Prüfung «in linea judiciali et criminali» ablegen. Die
damaligen Landvögte in Vaduz hatten alle ein juris
tisches Studium absolviert und die in Österreich ver
langten staatlichen Prüfungen abgelegt. 57
DIE AUSWIRKUNGEN DER 1848-ER
REVOLUTION FÜR DAS GERICHTSWESEN 58
Die Revolution von 1848 brachte in Liechtenstein
nur eine kurzfristige Veränderung der Verfassungs
verhältnisse mit sich. Für die Rechtspflege ergaben
sich aus den fürstlichen Erlassen 1848 und den kon
stitutionellen Übergangsbestimmungen 1849 keine
konkreten Veränderungen. Wichtigster Teil der poli
tischen Forderungen jener Zeit war der Wunsch
nach einer neuen freieren Verfassung, insbesondere
nach einem öffentlichen und mündlichen Gerichts
verfahren. Die idealistisch konzipierte Frankfurter
Reichsverfassung vom 28. März 1849 (Paulskir
chenverfassung) mit ihren liberal-konservativen
Zielen enthielt vieles, was modernen Vorstellungen
einer vorbildlichen Verfassung entspricht. Sie war
auch Richtschnur für die Verfassungsbestrebungen
in Liechtenstein. Die Verfassungsentwürfe von Peter
Kaiser, Franz Josef Oehri und der Entwurf des vom
Volk gewählten Verfassungsrates sahen alle auch
eine Neuregelung des Gerichtswesens vor. 59
Peter Kaisers Verfassungsentwürfe
Ein erster summarischer Entwurf Peter Kaisers
wies die richterliche Gewalt den vom Landtag ge
wählten und vom Fürsten bestätigten Richtern un
ter Vorsitz des Landesverwesers zu. 60 Dem Land
vogt war zusammen mit zwei bis drei vom Landrat
bezeichneten Männern die Funktion eines Verwal
tungsgerichts zugewiesen. 61 Der Landvogt war als
Präsident dieses Gerichts und als Untersuchungs
richter in allen Straffällen vorgesehen. 62 Im Ober
land und Unterland sollte je ein Friedensgericht be
stehen. 63 Die erste Gerichtsinstanz bildeten unter
dem Vorsitz des Landvogts sechs vom Landtag ge
wählte und vom Fürsten bestätigte Richter. 64 Durch
Zuzug von sieben weiteren Richtern sollte die zwei
te Instanz gebildet werden. Die Appellation hätte an
den Fürsten ergehen, und das Appellationsgericht
in Innsbruck wegfallen sollen.
Ein weiterer ausführlicher Entwurf Kaisers sah
als erste Instanz zwei Bezirksgerichte unter dem
Vorsitz von Landammännern vor. Die zweite Instanz
lag beim Landgericht in Vaduz, die dritte beim Fürs
ten. Der Landesverweser sollte Untersuchungsrich
ter sein, die Urteile waren aber von Geschworenen
zu fällen. Peter Kaiser wollte mit gesonderten Ge
richts- und Verwaltungsbezirken der Landschaften
Vaduz und Schellenberg die alte Landammannver
fassung wieder aufleben lassen. Das Gerichtswesen
sollte demokratisiert und dezentralisiert werden. 65
Franz Josef Oehris Verfassungsentwurf
Franz Josef Oehris Verfassungsentwurf wies die
Rechtspflege ausschliesslich den im Lande verfas
sungsmässig bestellten ordentlichen Gerichten zu
(§ 31), statuierte das öffentliche und mündliche Ge
richtsverfahren (§ 32) und in Strafsachen den An
klageprozess und die Aburteilung durch Schwurge
richte (§ 33). Sein Gerichtsorganisationsgesetz sah
56) Vgl. unten, S. 56-65.
57) Vogt, S. 72.
58) Vgl. dazu oben, S. 11 f.; Geiger; Ospelt, S. 236-239.
59) Texte der Verfassungsentwürfe unter Historische Rechtsquellen
(Liechtensteinisches Landesarchiv: www.llv.li) und LLA RC 100/4.
60) Verfassungsentwurf von Peter Kaiser, März 1848, § 7 c.
61) Ebenda, § 10.
62) Ebenda, § 11.
63) Ebenda, § 15.
64) Ebenda, § 16.
65) Vgl. Geiger, S. 100.