«EIER-, MILCH- UND SEIFENPUNKTE, ANBAU
PFLICHT UND EINMACHKURS» / PETER GEIGER
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in den zwei bezüglich Versorgungslage schwierig
sten Jahren 1944/45 praktisch durchwegs über
dem «Normbedarf». Einzig im Frühling 1945 gab es
im zweiten Quartal - April, Mai, Juni - auch eine
Protein-Unterversorgung für Normalbezüger, nicht
aber für Schwerarbeiter. 91
Trotz dieser Differenzierungen lässt sich sagen:
Im Ganzen funktionierte die Landesversorgung für
die liechtensteinische Bevölkerung in der abnorma
len Zeit des Krieges sehr gut. Niemand musste im ei
gentlichen Sinne hungern. Die Notwendigkeit von
Einschränkungen wurde eingesehen. Nichteinhal
tung der Vorschriften und Missbräuche hielten sich
in Grenzen.
IN ANDERN LÄNDERN
Weiten wir kurz den Horizont. Wie stand es in an
dern Ländern um Rationierung und Mehranbau?
Nahrungsmittel und Güter des täglichen Bedarfs
wurden in allen kriegführenden und den meisten
weiteren Ländern ebenfalls rationiert. Das veran
schaulichen etwa Rationierungskarten aus Deutsch
land, Frankreich und den USA.
Interessant ist der Blick auf Deutschlands Ernäh
rungslage. Der Befund mag überraschen: Im Dritten
Reich hungerte die Bevölkerung im Krieg nicht, sie
erhielt praktisch gleich viele Kalorien wie vor dem
Krieg. Bezüglich Nahrung wurden erst die Nach
kriegsjahre schwieriger - und rückblickend stärker
erinnert. Die Bevölkerung in Deutschland, die im
Krieg hinreichend ernährt war, umfasste freilich al
lein die «Volksgenossen». Andere Bevölkerungsteile
aber, nämlich Juden, Zwangsarbeiter, sowjetische
Kriegsgefangene, Bewohner besetzter sowjetischer
Städte, erhielten nur mehr sehr eingeschränkt Le
bensmittel, in bewusster «Vernichtungsabsicht». 92
Verstärkte Nahrungsmittelproduktion durch for
cierten Anbau war schon lange vor dem Krieg in
verschiedenen Ländern ein Ziel, insbesondere in
Italien und Deutschland im Sinne von Autarkie und
Kriegsvorbereitung. Mussolini rief schon 1925 die
«Battaglia del grano» («Weizenschlacht») für die ita
lienische Landwirtschaft aus. Sie wurde Jahr für
Jahr fortgesetzt. 93 In Hitlerdeutschland wurde ab
1934 für die Landwirtschaft jährlich die «Erzeu
gungsschlacht» verordnet, weitergeführt auch in
der Kriegszeit. 94 Vermehrte landwirtschaftliche Pro
duktion war überall ein zentrales Thema, auch in
Liechtenstein schon in den 1930er Jahren. 95 Der
Krieg forcierte alles. Sogar die Mechanisierung der
Landwirtschaft erhielt im Krieg auch hierzulande
einen Anschub. 96
DANKESSCHULD GEGENÜBER DER SCHWEIZ
Der Kreis unseres Themas schliesst sich, indem
nochmals die Schweiz zu erwähnen ist. Ihr gegen
über stand Liechtenstein in einer beträchtlichen
Dankesschuld. Wie hätte Liechtenstein die Landes
versorgung materiell und organisatorisch selber
und allein bewältigen sollen? Im Schlussbericht des
liechtensteinischen Kriegswirtschaftsamtes, publi
ziert als Teil des Rechenschaftsberichts der Regie
rung für das Jahr 1948, wurde denn nicht nur die
«vorzügliche Organisation» der schweizerischen
Kriegswirtschaft gelobt, sondern bündig festgestellt,
sie habe Liechtenstein in der Kriegszeit «vor Not be
wahrt», und:
«Die schweizerischen Stellen Hessen uns ohne Aus
nahme aller Vorteile teilhaftig werden». 97
Die Schweiz freilich erwartete nach dem Krieg
Gegenleistungen. So stellte sie für Lebensmittelliefe
rungen an Liechtenstein eine unerwartete und als
91) Vgl. die Graphiken in: Schweizerische Kriegswirtschaft, S. 435,
439, 437.
92) Vgl. Dietrich Eichholtz: «Rationierung». In: Wolfgang Benz /
Hermann Graml / Hermann Weiss: Enzyklopädie des Nationalsozia
lismus, 4. Auflage. Stuttgart, 2001, S. 669 f.
93) http://it.wikipedia.org/wiki/Battaglia del grano.
94) http://de.wikipedia.org/wiki/Erzeugungsschlacht.
95) Vgl. Geiger, Krisenzeit, 2. Auflage. Vaduz, Zürich, 2000, Bd. 1,
S. 277-284.
96) Vgl. Angaben zur Anzahl Traktoren in den Rechenschaftsberich
ten 1938 bis 1950.
97) Rechenschaftsbericht 1948, S. 185.