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In der Schweiz, einem Land, in welchem den Bür
gern die meiste Mitsprache in staatlichen Angele
genheiten zugebilligt wird, sind juristische Laien in
mehreren Bereichen der Rechtspflege integriert.
Gemäss Bundesverfassung sind für die Zivil- und
Strafrechtspflege grundsätzlich die Kantone zustän
dig. Die Kantone regeln einzeln die Organisation der
Gerichte und das gerichtliche Verfahren. Die Situati
on ist von Kanton zu Kanton verschieden. Den Straf
gerichten unterer Instanzen gehören in den meisten
Kantonen auch Laienrichter an.
Grundvoraussetzung für die Wahl zum Richter ist
in vielen Kantonen und auch auf Bundesebene allein
die Stimmberechtigung. Eine juristische Ausbildung
ist selbst für Bundesrichter grundsätzlich nicht Be
dingung, auch wenn alle heutigen Bundesrichter ju
ristisch ausgebildet sind. Die erstinstanzlichen Rich
ter werden meistens vom Volk, die oberen Richter
vom Parlament gewählt. Die Laienrichter sind
grundsätzlich den juristisch ausgebildeten Richtern
gleichgestellt. Sie sind in der Regel in Gremien, teils
in der Mehrheit, teils in der Minderheit, zusammen
mit juristisch ausgebildeten Richtern tätig. In eini
gen Kantonen können Laienrichter auch als Einzel
richter urteilen. Ihnen ist jedoch zumeist ein juris
tisch ausgebildeter Gerichtsschreiber zur Seite ge
stellt. Generell zu unterscheiden ist in der Schweiz
zwischen nicht ständig tätigen, nur gelegentlich an
der Rechtsprechung mitwirkenden Laienrichtern,
den so genannten Geschworenen, und ständig täti
gen haupt- oder nebenberuflichen Laienberufsrich
tern. Letztere sind nach bekannter Terminologie als
Berufsrichter zu bezeichnen, während die Ge
schworenen nach österreichischer und deutscher
Diktion zumeist Schöffen sind. Für die Beurteilung
schwerster Strafen kennen nämlich nur noch die
Kantone Zürich, Tessin, Neuenburg und Genf
Geschworenengerichte. Das Geschworenengericht
setzt sich aus einem Präsidenten oder mehreren Be
rufsrichtern und einer Anzahl von Geschworenen
(Laien) zusammen. Im Gegensatz zum traditionellen
Schwurgericht, wie es etwa der angelsächsische
Raum kennt, entscheiden Präsident, Berufsrichter
und Geschworene gemeinsam über Schuld und
Strafe. Die kantonalen Schwurgerichte sind faktisch
Kriminal- oder Schöffengerichte mit einer Laienbe
teiligung, die in ihrer Form derjenigen in Deutsch
land vergleichbar ist. Ihre Mitglieder werden im Un
terschied zum Geschworenengericht nicht für einen
jeweiligen Einzelfall bestimmt, sondern für eine fes
te Amtsdauer bestellt.
Es besteht die Möglichkeit, dass auch eine juris
tisch ausgebildete Person in ein «Laienamt» ge
wählt werden kann. In den meisten Fällen jedoch
verfügen die Laienrichter über keine juristische
Ausbildung und üben eine andere Erwerb Stätigkeit
in ihrem angestammten Beruf aus. Eine eigentliche
Ausbildung für das Laienrichteramt gibt es nicht,
einzelne Kantone bieten jedoch Aus- und Weiterbil
dungen für Laienrichter an. Zumindest ist regelmäs
sig eine Einführung in die Tätigkeit des Laienrich
ters, insbesondere in die Verfahrensabläufe einzel
ner Prozesse vorgesehen.
Nicht juristisch ausgebildet sind in der Regel
auch die Friedensrichter oder Vermittler, die als
Sühne- oder Vermittlungsbeamte und als gerichtli
che Vorinstanz zwischen den Parteien vermitteln.
Sie haben im Gegensatz zu den Laien- und Berufs
richtern keine Entscheidungskompetenz sondern
lediglich eine Vermittlungskompetenz. Fast alle
Kantone kennen besondere Verfahren und Institu
tionen, die eine gütliche Streitbeilegung fördern sol
len. Die Ernennung der Friedensrichter geschieht
mit wenigen Ausnahmen durch Volkswahl. Ihre
sachliche Zuständigkeit ist in den einzelnen Kanto
nen sehr verschiedenartig ausgestaltet. Die Vermitt
lungsfunktion wird jedoch als Hauptfunktion des
Amtes gesehen. Etwa ein Drittel bis die Hälfte aller
Prozesse, die über das Vermittleramt gehen, wird
gütlich erledigt. Die Beurteilungen der Tätigkeit der
Schweizer Friedensrichter sind insgesamt positiv. 298