Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2009) (108)

DIE REGIONEN SARGANSERLAND UND WERDEN- BERG IM HERBST 1918/CLAUDIO STUCKY DAS KRIEGSENDE DIE GRUNDSTIMMUNG BEI KRIEGSENDE Die Gemütslage der Bevölkerung in den beiden Schweizer Bezirken Ende 1918 ist quellenmässig nur sehr partiell zu erfassen. Es fällt aber auf, dass im Vergleich zum Ende des Zweiten Weltkrieges kei- ne Glockengeläute oder Dankgottesdienste stattfan- den. Das lag einmal daran, dass das Ende des Ersten Weltkrieges nicht durch eine Kapitulation einer Kriegspartei markiert wurde, sondern dass ein mes- sender Übergang zu einem Nicht-Kriegszustand stattfand. Denn die Waffenstillstände zwischen den Krieg führenden Mächten zogen sich vom Septem- ber bis zum 11. November 1918 hin. Auch verlager- te sich das Interesse der Schweizer Bevölkerung an den Ereignissen auf den Kriegsschauplätzen auf die innenpolitischen Spannungen in der Schweiz, die dann ab dem 12. November 1918 zum Generalstreik führten. Das generelle Verhalten in der Bevölkerung be- stand eher in einem passiven Abwarten der Ent- wicklungen, sowohl der innenpolitischen wie auch der aussenpolitischen. Der Graben zwischen deutschfreundlich und deutschfeindlich gesinnten Bevölkerungsteilen, den es während des Krieges in der Schweiz gab, ist in der Region zwar bei Kriegsende noch feststellbar, aber nicht mehr als Bedrohung des nationalen Zu- sammengehörigkeitsgefühls . Offensichtlich warf die katholisch-konservative Presse den Freisinnigen vor, «alldeutsch» gesinnt zu sein. Gegen diesen Vorwurf wehrte sich das freisin- nige Blatt «Werdenberger & Obertoggenburger» (<W&0>) vehement,1 was dieselbe Zeitung aber nicht daran hinderte, bei Kriegsende gegen eine deutsch- feindliche Stimmung Stellung zu nehmen. «Dass es natürlich in Buchs noch ein halbes Dutzend fanati- scher Deutschenfresser gibt, denen die Hinrichtung des 70 Millionenvolkes durch den Strang als Min- destprogramm vor dem etwas umnebelten Hirn schwebt, sei als Kuriosum notiert», kommentierte der <W&0> im Oktober 1918.2 
DIE SITUATION IM GRENZBAHNHOF BUCHS NACH DEM ZUSAMMENBRUCH DER DONAUMONARCHIE Schon seit Oktober 1918 begann die Donaumonar- chie langsam auseinanderzubrechen. Mit dem Durchbruch der italienischen Armee bei Vittorio im Veneto wurde auch die militärische Niederlage be- siegelt. Für Österreich-Ungarn ging der Erste Welt- krieg mit dem Waffenstillstand von Villa Giusti in Ita- lien am 3. November zu Ende. Im Grenzbahnhof Buchs spürte man die Folgen des Zusammenbruchs der Donaumonarchie am schnellsten. Noch am 3. November 1918 wurde der Abendzug aus Feldkirch auf der Rheinbrücke ange- halten und dafür gesorgt, «dass nur Leute mit ein- wandfreien Ausweisen die Schweiz betreten kön- nen. Es ist eine Invasion zu befürchten und man spricht von grossem Militäraufgebot», meldete der <W&0>.3 Gleichzeitig berichtete die Zeitung, dass die rheintalischen Landsturmbataillone 75 und 76 auf Pikett gestellt wurden. Die befürchtete Invasion von Schutzsuchenden fand aber nicht statt. In die Schweiz einreisen wollten vor allem italie- nische Soldaten, die als Kriegsgefangene in Öster- reich interniert worden waren. Sie versuchten über die Schweiz zurück in ihre Heimat zu reisen. Von Buchs aus wurden am 9. November 462 ehemalige italienische Kriegsgefangene über Chiasso nach Ita- lien gefahren.4 Am 3. November entwaffneten schweizerische Grenztruppen 30 österreichische Soldaten, die da- rauf in Buchs interniert wurden, was offensichtlich zu Protesten aus der Bevölkerung führte, «aus Angst wegen Seuchengefahr».5 Am 13. November berich- tete der <W8JO>, dass 60 Österreicher, die früher in der Schweiz lebten, in Buchs die Grenze überquer- 1) W&O, 11. Oktober 1918. 2) W&0, 9. Oktober 1918. 3) W&O, 4. November 1918. 4) W&O, 11. November 1918 5) W&O, 6. November 1918. 93
	        

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