Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2009) (108)

DIE URBARE DER GRAFSCHAFT VADUZ DORIS KLEE Einleitung Zu diesem Streitfall gebe es «kamen andren Bericht als in dem Urbario geben». Diese Worte finden sich in einem Schreiben der Hohenemser Kanzlei vom Juli 1693.1 Der Brief steht im Zusammenhang mit einem Konflikt um die Alp Guschgfiel. Bei diesem Streit ging es um die Frage, wem die dortigen Wei- derechte gehörten und wer wem welche Abgaben zu leisten hatte. In der Herrschaft Vaduz war man der Ansicht, die Frastanzer hätten die Abgaben zu leis- ten. Die Frastanzer waren anderer Meinung. Der Streit beschäftigte verschiedene Instanzen, bis er schliesslich an das Landesgericht in Rankweil kam und 1704 zugunsten der Herrschaft Vaduz entschie- den wurde.2 Für das vorliegende Thema von Inte- resse ist vor allem der Umstand, dass in der Beweis- führung auf ein Urbar verwiesen wird und dass die- ses als Rechtsgrundlage für herrschaftliche Ansprü- che diente. Mit dem Medienwandel im Spätmittelalter und dem daraus resultierenden Prozess der Verschriftli- chung gewann die Verwendung von Schriftstücken in der Herrschaftsorganisation und in der Herr- schaftspraxis an Bedeutung.3 Eine besondere Stel- lung nahmen dabei die Urbare ein.4 Die Bezeich- nung «Urbar» stammt aus dem mittelhochdeut- schen «erberen» in der Bedeutung von «hervor- bringen».5 Im Sinne von Besitz-, Abgaben-, Zins- und Güterverzeichnissen wird die Bezeichnung «Urbar» ab dem 13. Jahrhundert benutzt.6 Oft wer- den für solche Verzeichnisse auch synonyme oder verwandte Bezeichnungen wie Rodel, Zinsbuch, Salbuch, Lagerbuch, Stockurbar oder Berain ver- wendet.7 Solche Selbstbezeichnungen fehlen in den entsprechenden zeitgenössischen Schriftstücken jedoch häufig, so dass in der Forschung auch ganz allgemein von urbarialem Schriftgut gesprochen wird.8 Urbare stellen eine Form der schriftlichen Fixie- rung von Herrschaftsansprüchen dar. Ihre Anfänge liegen, abgesehen von den frühmittelalterlichen In- ventaren, im 12. Jahrhundert. Urbare wurden da- mals vor allem in geistlichen Herrschaften erstellt. Ab dem 14. Jahrhundert wird die Überlieferung dichter, und auch weltliche Herrschaftsträger wie beispielsweise die Habsburger begannen, ihre An-sprüche 
schriftlich festzuhalten und Urbare herzu- stellen.9 Inhaltlich wurden Urbare aufgrund ihrer regio- nalen Bezogenheit vorwiegend im lokalhistorischen Kontext behandelt und für verschiedenste Fragen als Quellen beigezogen, ohne dass sie selber zum Forschungsobjekt gemacht wurden. Urbare ver- stärkt in die agrargeschichtliche Forschung einbe- zogen hat Werner Rösener, der aufgrund zeitlich ge- staffelter Urbare die Entwicklung von Grundherr- schaften darlegte.10 In neuerer Zeit wurden Urbare vor allem von Roger Sablonier und Ludolf Kuchen- 1) Voraiiberger Landesarchiv (VLA), Bestand Vogteiamt Feldkirch, Schachtel 40. Der vorliegende Artikel ist eine Zusammenfassung der Lizentiatsarbeit «Zwei frühneuzeitliche Herrschaftsurbare der Grafschaft Vaduz», eingereicht 1999 bei Prof. Dr. Roger Sablonier an der Universität Zürich. 2) Vgl. Johann Baptist Büchel: Die Mälsener und Frastanzer im Streit wegen der Alp Guschgfiel 1693-1704. Aus den Akten des Vorarlber- ger Landesarchivs, in: JBL 24 (1924), S. 77-88. 3) Simon Teuscher: Erzähltes Recht. Lokale Herrschaft, Verschriftli- chung und Traditionsbildung im Spätmittelalter. Frankfurt, 2007. 4) Grundlegend zum urbarialen Schriftgut Roger Sablonier: Ver- schriftlichung und Herrschaftspraxis. Urbarialcs Schriftgut im spätmittelalterlichen Gebrauch. In: Christel Meier et al. (Hrsg.): Pragmatische Dimensionen mittelalterlicher Schriftlichkeit. Akten des internationalen Kolloquiums 26.-29. Mai 1999 (Münstersche Mittelalter-Schriften 80). München, 2002, S. 91-120, mit weiterfüh- render Literatur. 5) Jacob Grimm / Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, 33 Bände, Nachdruck München, 1971-1984; Band 11, Spalten 2374-2381. 6) Enno Bünz: Probleme der hochmittelalterlichen Urbarüberliefe- rung. In: Werner Rösener (Hrsg.): Grundherrschaft und bäuerliche Gesellschaft im Hochmittelalter (Veröffentlichungen des Max-Planck - Instituts für Geschichte 115). Göttingen, 1995, S. 31-75, hier S. 35. 7) Zum Begriff Urbar und seiner Verwendung vgl. den Artikel von Dieter Hägermann: Urbar. In: Lexikon des Mittelalters, Band 8, 1997, Spalten 1286-1289, mit weiterer Literatur. 8) Sablonier, Verschriftlichung (wie Anm. 4), S. 92. 9) Zum Habsburger Urbar vgl. Rudolf Maag (Hrsg.): Das habsburgi- sche Urbar, 2 Bände (Quellen zur Schweizer Geschichte 14/15). Basel, 1894/1904, sowie die Dissertation von Marianne Bärtschi: Das Habsburger Urbar. Vom Urbar-Rodel zum Traditionscodex. Zürich. 2008 (www.dissertationen.uzh.ch/18. Dezember 2008). 10) Werner Rösener: Grundherrschaft des Hochadels in Südwest- deutschland im Spätmittelalter. In: Hans Patze (Hrsg.): Die Grund- herrschaft im späten Mittelalter, Band 2 (Vorträge und Forschungen 27). Sigmaringen, 1983, S. 87-176. 133
	        

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