Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2009) (108)

gefährdet. Conrads «Kassandrastimme aus dem Hinterrhein» grollte über die systematische Zurück- setzung und Vernachlässigung des Rätoromani- schen. Er beklagte insbesondere 
die Verdeutschung des Schulwesens, den Sprachzerfall durch die Ver- drängung des Romanischen aus den Stundenplänen vieler Schulen im romanischen Sprachgebiet. Ne- ben dem Appell an die Deutschbündner, mitzu- helfen, rief er auch die Romanen zu neuer Selbstbe- sinnung auf. Allein die Sensibilität für diese Sprache war zu- nächst noch kaum vorhanden. Dies zeigte sich in den Beratungen des Grossen Rates, der gegen Ende Jahr über eine Eingabe der LR zu befinden hatte. Die LR hatte mit Schreiben vom 27. November 1919 an die Regierung um einen jährlichen finanziellen Beitrag von 10 000 Franken nachgesucht, um ihre Arbeiten in bescheidenem Ausmass und mit einem teilzeitlichen Sekretär ausüben zu können. Die Re- gierung zeigte für dieses Anliegen wenig Verständ- nis mit dem LIinweis auf Aufwendungen, die der Kanton bereits für die Schule trage, und sie wolle nicht «einen weiteren finanziellen Krebsgang zum Wohle des Bündner Volkes aufzwingen»; sie wollte deshalb nur 2000 Franken jährlich gewähren. Auch im Grossen Rat herrschte zunächst eher Negativis- mus vor. Die vorbereitende Kommission schlug zwar 6000 Franken vor, einen Antrag, dem sich die Regierung im letzten Moment anschloss. Indessen bemerkte der Kommissionspräsident, der Kanton habe schon drei romanische Publikationen unter- stützt, und bei der gegenwärtigen Finanzlage könne er nur absolut notwendige Subventionsgesuche be- rücksichtigen. Die Romanen sollten die in ihrer Sprache verborgenen Schätze heben und pflegen; indessen sollten sie aber vermeiden, rein deutsche Gegenden für ihre Sprache gewinnen zu wollen. Der Abgeordnete Nay aus der Surselva, Arzt und Dich- ter, befleissigte sich daraufhin zu betonen, dass die Romanen nicht auf Eroberungen ausgingen, insbe- sondere nicht das Prättigau romanisieren wollten, sondern nur das Bestehende erhalten und pflegen. Hierauf schlug ein Grossrat aus Davos, der Rechts- anwalt Eduard Branger, vor, den vollen von der LR erwünschten Beitrag zu gewähren, indem er diesen 
als berechtigt taxierte: Die Förderung und Erhal- tung der rätischen Kultur sei eine Kantonspflicht, und da dürfe das Parlament nicht knauserig sein. Der Beitrag von 10 000 Franken wurde danach mit klarem Mehr gutgeheissen.14 Von da weg blieb es eine Kantonsaufgabe, die LR finanziell zu unterstützen. Auch der Bund begann allmählich - nachdem das Schweizer Volk in einer Abstimmung 1939 das Rätoromanische als vierte Landessprache anerkannt hatte - das Rätoromani- sche materiell und kulturell zu fördern. 1996 wurde das Rätoromanische auch als Teilamtssprache des Bundes in der Verfassung verankert. Die heutige Praxis mit einer staatlichen Unterstützung von zirka drei Millionen an die LR wird von den einen als viel zu wenig betrachtet, von anderen, zum Beispiel vom Chefredaktor der Weltwoche, als viel zu viel: nach ihm sind die Rätoromanen in dieser Hinsicht «räu- berisch und erpresserisch». Tatsache ist, dass die rätoromanische Sprache in den letzten 90 Jahren seit Gründung der LR noch weiter zurückgegangen ist. Die Hauptschuld liegt einerseits daran, dass sie im Alltag in vielen Bereichen nach wie vor diskrimi- niert wird, und anderseits im mangelnden territo- rialen Sprachschutz: Jede ins romanische Gebiet zugezogene Person anderer Sprache kann es sich leisten, das Romanische nicht zu erlernen und zu verwenden. Was von Ausländern im deutschspra- chigen Gebiet der Schweiz heute streng einverlangt wird, nämlich, dass sie sich rasch sprachlich inte- grieren, wird im rätoromanischen Gebiet völlig ignoriert. So ist eine Sprache zum Untergang verur- teilt. DIE HEIMKEHR DER AUSLANDBÜNDNER Die gewerblich-kommerzielle Auswanderung von Bündnern ins benachbarte Ausland hatte lange Tra- dition. Als Bergvolk mit wenig Ressourcen sahen sich viele junge Leute gezwungen, ihr Auskommen anderswo zu finden. Neben der Beschäftigung in Be- reichen der Wirtschaft - es sind zum Beispiel Bünd- ner Bäcker schon im 15. Jahrhundert in Venedig nachgewiesen - widmeten sich viele junge Männer 124
	        

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