Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2008) (107)

Jahren.101 Das gesamte dritte Jahr war dem «Wun- der unseres Werdens» und geschlechtsspezifischen Themen gewidmet und wurde anhand eines Zwie- gespräches einer Ärztin mit einer jungen Frau ver- deutlicht. Diese belehrte die junge Frau in erster Li- nie in Heiratsfragen - von der Auswahl des Ehe- mannes bis zur Warnung vor gemischtkonfessionel- len Ehen. Den Mädchen wurde die Tragweite der Heiratsentscheidung klargemacht und man wies sie daraufhin, dass eine Heirat nicht um jeden Preis ge- schehen müsse, denn das «Jungferntum» und der damit vielfach verbundene Einsatz in sozialen und karitativen Werken habe auch Lobenswertes an sich. Ein reines Leben sei nicht nur «für jungfräuli- che Seelen höchste Pflicht, sondern es ist die Pflicht eines jeden Menschen, der Christ sein»102 wolle. Se- xualität war - wenn überhaupt - nur für die Ehe vor- gesehen. Vor den neu aufkommenden «Irrlehren» der damaligen Zeit wurden die Mädchen mit den fol- genden Worten gewarnt: «... <was folgt? Hysterie, Neurasthenie, ungesundes Leben oder Lügen über Lügen. Ein unerlässlicher Faktor sowohl der organi- schen wie der psychischen Entwicklung ist das ge- sunde Ausleben der Sexualität.) Diese wenigen Zei- len sind der wahre Spiegel der krankhaften und schändlichen Irrlehren unseres Zeitalters. Kurz und bündig erwidert die ärztliche Wissenschaft auf diese Behauptung: Sie ist falsch.»Wi Pfarrer Johannes Tschuor, Religionslehrer am In- stitut, freute sich, 1959 im Pfarrblatt «In Christo» darüber berichten zu können, dass «die Ordnung Gottes genau übereinstimmt, haargenau, mit den Erkenntnissen, die die moderne Wissenschaft heute über Ehe und gesundes reines Leben vor der Ehe und in der Jugendzeit»104 aufstelle. Klärten sich die Schülerinnen durch eine «frühreife» Kollegin selbst auf, herrschte grosse Aufregung an der Klosterschu- le.105 Später, in den 1960er Jahren, übernahmen die Schwestern diesen Part nicht mehr selber, sondern Hessen für diese Stunden eine Lehrerin aus Vorarl- berg kommen.106 Die sexuelle Aufklärung muss der «Bienen und Blumen»-Methode entsprochen ha- ben, denn «nach der Aufklärung wusste man doch nicht Bescheid».107 In Fragen der Empfängnisver- hütung gaben die Schwestern mit Hilfe ihres Unter-richtsmaterials 
einen klaren Tarif durch. Anekdo- tisch erzählt das Lehrbuch von einer Drogistin, die ihre Stelle gekündigt hatte, weil ihr Chef Utensilien zur Empfängnisverhütung verkaufte. Der Chef der besagten Drogerie wird hart verurteilt: «Solche Ge- schäfte sind Totengräber der guten Sitte. Es gehört schon eine gute Dosis von Verworfenheit und inne- rer Fäulnis dazu, wenn man glaubt, dass der Handel mit dieser Ware ein Dienst an der Menschheit sei.»108 Das Thema Abtreibung kam in noch schärfe- rer Weise zur Sprache.109 Anklägerisch und drohend wird im Lehrbuch der Zeigefinger gegen jede Frau erhoben, die schon ein Kind abgetrieben hat oder sich mit diesem Gedanken beschäftigt: «Gott hat Zeit. Ihm entgeht keiner. Vielleicht hegt seine stra- fende Hand auch viel schwerer auf den Übeltätern, als wir 
glauben. Ungestraft lässt sich nicht gegen die Gesetze der Natur freveln.»™0 101) Eine ehemalige Schülerin, die in den späten 1960er Jahren das Institut besucht hatte, sprach im Interview davon, dass die Aufklä- rung zu ihrer Zeit bereits in der ersten Klasse stattgefunden habe. Diese Aussage konnte jedoch von anderen Mitschülerinnen weder bestätigt noch verneint werden. Siehe dazu das Interview mit Frau L. vom 20. Mai 2006 (Frau L. besuchte das Institut St. Elisabeth Mitte der 1960er Jahre). 102) Margaret Csaba: Was ein erwachsenes Mädchen wissen muss. Paderborn, 1934, S. 37. 103) Csaba, Was ein erwachsenes Mädchen wissen muss, S. 58. Her- vorhebung im Original. 104) Johannes Tschuor: Fräulein. Sie würden ja nur lächeln. In: In Christo, Nr. 4 vom 10. Januar 1959. 105) Interview mit Frau F. und FrauG. vom 31. August 2006 (Frau F. und Frau G. besuchten das Institut St. Elisabeth Anfang der 1950er Jahre). 106) Interview mit Frau N. vom 9. Juni 2006 (Frau N. besuchte das In- stitut St. Elisabeth Ende der 1960er Jahre). 107) Interview mit Frau L. vom 20. Mai 2006 (Frau L. besuchte das In- stitut St. Elisabeth Mitte der 1960er Jahre). Von einer anderen Interviewpartnerin, die die Schule zur ungefähr gleichen Zeit besucht hat, stammt eine ähnliche Aussage. Siehe dazu das Interview mit Frau N. vom 9. Juni 2006 (Frau N. besuchte das Institut St. Elisabeth Ende der 1960er Jahre). 108) Hoberg, Gespräche mit meiner Schwester, S. 140. 109) Ebenda. S. 104-116. 110) Ebenda. S. 111. Hervorhebung im Original. 26
	        

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