Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2007) (106)

schwächter Form vorhanden und 1970 waren die Ausländerinnen noch mit über 10 Prozent in der Überzahl. Weder die eine Annahme, viele Auslände- rinnen hätten im Gastgewerbe gearbeitet, noch die andere Annahme, Frauen allgemein hätten bereits früh den Dienstleistungssektor als Bürofachange- stellte gestürmt, trifft hier zu. Junge Liechtensteine- rinnen waren hauptsächlich in den 1940er und 1950er Jahren als Hausangestellte, Dienstmädchen oder einfach nur «Mädchen» oder «Tochter» ge- nannt, tätig. Zu dieser Zeit waren hauptsächlich Ausländerinnen in Bürotätigkeiten vorzufinden. Dies änderte sich Ende der 1950er Jahre allmäh- lich: Liechtensteinische Frauen drängten langsam, aber zielbewusst in die kaufmännischen Berufe, zu- erst allerdings ausschliesslich als Gehilfinnen. Aus- länderinnen übernahmen vermehrt die ehemaligen Tätigkeiten der ledigen Liechtensteinerinnen und deckten den Bedarf an Hausangestellten ab. Interes- sant ist die viel kleinere Zahl der männlichen Be- schäftigten im Dienstleistungssektor. Diese sind, wie sich später noch herausstellen wird, hauptsächlich auf den mittleren und höheren Hierarchieebenen anzutreffen. (Es braucht weniger Direktoren als Schreibhilfskräfte) Die sektorielle Verschiebung der Frauenbeschäftigung ist in Tabelle 5 zu sehen. Ein weiterer wichtiger Punkt, der keinesfalls un- erwähnt bleiben darf, ist die grosse Anzahl weibli- cher Nichterwerbspersonen in den statistischen Quellen. So werden zum Beispiel 1941 fast 80 Pro- zent der Frauen als Nichterwerbspersonen angege- ben! Hier sind unter anderem die verheirateten Bäuerinnen vorzufinden, sowie die Frauen, die in Teilzeit arbeiteten. Die Zahl der weiblichen Nichter- werbspersonen ging in den folgenden Jahrzehnten langsam auf 76 Prozent, dann 1960 auf 72 Prozent und 1970 auf knapp 68 Prozent zurück. Auch bei der angegebenen Anzahl mitarbeiten- der Familienmitglieder sind Zweifel anzubringen, es besteht Grund zur Annahme, dass diese Zahl viel höher anzusetzen ist. So widerspiegeln diese statis- tischen Quellen aber das damalige Weltbild und ihre Wertung gegenüber weiblicher Erwerbstätigkeit. Die Historikerin Regina Wecker bemerkte, dass die Ungenauigkeit bei den weiblichen Erwerbstätigen 
bedeutend gravierender war als bei den männli- chen und zu einer Unterschätzung des Ausmasses der Frauenarbeit führte.22 Vor allem die systemim- manenten Ungenauigkeiten in der Unterschätzung der Heimarbeit, Saisonarbeit, Nebenerwerbsarbeit und das völlige Fehlen der Subsistenzarbeit lassen die Volkszählungsstatistiken und auch die Kom- mentare der Statistiker mit Vorsicht gemessen. Die Ursache für die unterschiedliche Aufnahme von männlichen und weiblichen Erwerbstätigen liegt in der zeitgenössischen Familienideologie der Statisti- ker sowie auch in der Art und Weise der weiblichen Erwerbsbeteiligung. Die Statistiker gingen von einer bürgerlichen Familiensituation aus, bei der die Frauen sich im Hause der Kindererziehung und der Reproduktion der männlichen Arbeitskraft widme- ten, während der Mann einer ausserhäuslichen Lohn- arbeit nachging, mit der die Familie erhalten wer- den konnte. Diese Normvorstellung schloss die Le- benssituation der nicht bürgerlichen Schicht aus. Die ausserhäusliche Erwerbsarbeit präsentierte sich in den Statistiken stärker als Domäne des Man- nes als dies den wirklichen Gegebenheiten ent- sprach. Diese für den Kanton Basel festgestellte Di- agnose kann auch für Liechtenstein gestellt werden, da die Richtlinien und Methoden des Bundesamtes für Statistik in den 30er Jahren des 20. Jahrhun- derts in Liechtenstein übernommen wurden und bei der Analyse der Materie die gleichen Mängel ent- standen. Die Erwerbsquote der Bewohnerinnen Liechtensteins kann also höher eingeschätzt wer- den als sie in den Statistiken dargestellt wurde. Die wirtschaftliche Bedeutung der Frauenarbeit in Liechtenstein lässt sich so in Zahlen nicht mehr exakt feststellen, kann aber ebenfalls höher einge- schätzt werden. 22) Vgl. Wecker. Zwischen Ökonomie und Ideologie, S. 70. 12
	        

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