DER SPRACHATLAS FÜR VORARLBERG, LIECHTENSTEIN, WESTTIROL UND DAS ALLGÄU / HUBERT KLAUSMANN im Unterland ein
nasaliertes tob, andernorts tua. Die 1. Pers. Plural von «tun», also «wir tun» (VALTS III 116) hat im Unterland die
Wortform tonn, sonst tuan(d) (Abbildung 4), und für «ich gehe» (VALTS III 118) sagt man im Unterland unter dem Einfluss des nördlichen
Anschlussgebiets {ich) gang, im Liechten- steiner Oberland hingegen wie in Südvorarlberg da- gegen
allgemein {ich) goo (Abbildung 5). Ein Unter- schied zwischen den beiden Liechtensteiner Mund- artgebieten, der offenbar ebenfalls im Schwinden ist, betrifft das auslautende
mhd. -tac, wie wir es in den
Wochentagsnamen {Montag, Dienstag usw.) oder in den
Wörtern Werktag und Feiertag vorfin- den (VALTS III 186). Die im Unterland notierte Bil- dung
mit -ta findet man im Alpenrheinraum nur noch in der Vorarlberger Rheingemeinde Lustenau, doch zeigen schon die Atlasbelege, dass diese beson- dere Bildungsweise durch die sonst in der ganzen Region allgemein übliche Bildung
auf -tig ersetzt wird. In manchen Fällen geht das ganze Liechtenstein mit Südvorarlberg zusammen und setzt sich somit von seinen direkten Vorarlberger Nachbarn im Oberland und Walgau ab. Dies gilt sowohl für die Infmitivbildung «geben» (VALTS III 140) als auch für «nehmen» (VALTS III 141). In Liechtenstein lau- ten diese Infinitive - wie immer mit der Ausnah- men Triesenberg
- gee und nee. Mit dem letzten Beispiel sind wir auch in diesem Kapitel wieder bei der Sonderrolle der Mundart von Triesenberg angelangt. Auffallend ist hier das Ch- im Anlaut, das man sonst in Liechtenstein nicht kennt. Es heisst
also Chruag «Krug», Chaschta «Kasten», chaufa «kaufen», choschta «kosten» usw. (VALTS III 40a). Eine Besonderheit der Trie- senberger Walser, die sie mit den Vorarlberger Waisern teilen, ist auch der zweiformige Plural. Während man in Vorarlberg und Liechtenstein nor- malerweise nur eine einzige Form für die 1., 2. und 3. Person Plural kennt, unterscheiden die Walser zwischen einer Form für die 1./3. Person Plural und einer Form für die 2. Person Plural (Abbildung 4). So lautet die Pluralform für alle drei Personen bei «tun» z. B. in
Vaduz tuand, in Triesenberg ste-hen
sich
dagegen Wand (1./3. Person Plural) und tüad (2. Person Plural) gegenüber (VALTS III 116). BESONDERHEITEN AUS DEN BÄNDEN IV UND V (WORTGEOGRAPHIE) Zum Wortschatz mit romanischer Herkunft (VALTS IV) Da die Germanisierung des Alpenrheinraumes von Nord nach Süd verlief und Jahrhunderte dauerte, blieb der Raum um das heutige Liechtenstein viel länger romanisch als das nördliche Nachbargebiet. Daher verwundert es nicht, wenn im vierten Band, der den romanischen Reliktwörtern gewidmet ist, für Liechtenstein zahlreiche Reliktwörter doku- mentiert sind. Ich gebe hierfür einige
Beispiele: Tri- enze «Mistgabel» (s. auch Abbildung
8), Furgge «Gabel» (VALTS IV
9), Benne «Kistenaufsatz, Kar- ren u. ä. (VALTS IV
16), Brente «Geschirr zum Ent- rahmen von Milch» (Abbildung
6), Stafel «Lager- platz vor der Alphütte» (VALTS IV
30), Tobel «Schlucht» (VALTS IV
31), Pulder(e) «Käsemasse» (VALTS IV
35), Schotten «Molke» (VALTS IV 36/37), Faule «Rückstand beim Auslassen von Butter» (VALTS IV
41), spuderen «prusten» (VALTS IV 42), Kätzi. «Wasserschöpfer» (VALTS IV
44), Singesse «gegossene Kuhglocke» (VALTS IV
45), Brend/Mä- rend «Nachmittagsimbiss» (VALTS IV
47), Kamp «Halsreif für Kleinvieh» (VALTS IV
51), spieglen (Unterland)
/ spiglen (Oberland) «Nachlese halten (VALTS IV
53), Rüfi «Erdrutsch» (VALTS IV 58), Stuflen «Getreidestoppeln» (VALTS IV
88), Brat- sche «grüne Schale der Walnuss» (VALTS IV 100). Mehrere Karten machen den oben angesprochenen Unterschied zwischen der frühen und späten Ger- manisierung deutlich, so wenn man die alte roma- nische
Bezeichnung spiglen «Nachlese halten» erst südlich des Kummenbergs findet. Dasselbe gilt für Plättlein «junges Huhn» (VALTS IV
55), Trüäjä «vom Vieh ausgetretene kleine Wege» (VALTS IV 56), Rod «Reihenfolge» (VALTS IV 57)
oder Arele «Legföhre» (VALTS IV 65) 113