1963 Zu Beginn der 1960er Jahre gewann die europäi- sche Einigung an Fahrt. Auch die Schweiz dachte über eine Annäherung an die Europäische Wirt- schaftsgemeinschaft (EWG) nach. Zugleich schnellte die Zahl der Gründungen in die Höhe, wobei die li- beralen Bestimmungen des PGR auch einige dubio- se Investoren anlockten, die man lieber nicht in Liechtenstein gehabt hätte. Was aussenpolitischer Druck bewirken konnte, sah man in Monaco, wo Frankreich 1962 mit einem Federstrich jene Steuer- vorteile zum Verschwinden brachte, die seine Bür- ger im benachbarten Fürstentum genossen hatten. Prinz Heinrich, der liechtensteinische Gesandte in Bern, meinte damals in einem «streng vertrauli- chen» Bericht: Falls Liechtenstein seine Karten auf den Tisch legen müsse, werde es sich zur Überra- schung des Schweizer Partners, aber auch der EWG herausstellen, «dass die Monegassen im Vergleich zu uns arme Waisenknaben sind»84. Durch rechtzei- tige Reformen könne man ein «Massensterben der Holdings» verhindern. Die Zahl der Neugründungen werde dadurch zwar abnehmen, deren Qualität aber besser werden.85 Die 1963er Reformen brach- ten unter anderem eine Erhöhung der Mindestkapi- talsätze, das Ende der Steuerpauschalierung und die Pflicht zur Einsetzung eines in Liechtenstein wohnhaften, verantwortlichen Vertreters (statt ei- nes blossen Repräsentanten). 1980 Der Reformschub von 1980 war eine Reaktion auf die so genannte Texon-Affäre86. Er führte unter an- derem zu strengeren Publizitäts-, Buchführungs- und Verantworthchkeitsbestimmungen, zu einer Er- höhung der Qualifikation der Treuhänder sowie zu ersten Vorschriften über die Sorgfalt bei Finanzge- schäften. Diese Reformen waren auch die Vorausset- zung für den Abschluss eines Währungsvertrages, der 1980 die Benutzung des Schweizer Frankens durch Liechtenstein regelte.87 Schon 1977 hatten die Schweizer Bundesräte Furgler und Chevallaz in ei- ner Besprechung mit ihren liechtensteinischen Kol- legen Klartext gesprochen. Finanzminister Georges- Andre Chevallaz meinte damals, dass Liechtenstein
zwar «voll souverän» sei, dass es aber wegen der «engen Bindung» an die Schweiz auf deren Interes- sen Rücksicht nehmen müsse.88 1992/97 Zu Beginn der 1990er Jahre kam ein Reformprozess in Gang, der den Finanzplatz - von kurzen Unter- brechungen abgesehen - bis heute beschäftigt. Hin- tergrund der Änderungen war die Annäherung Liechtensteins an die EU, die 1995 im Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum gipfelte. Dazu kam der Druck aus der Schweiz, die ihrerseits den Pres- sionen anderer Länder ausgesetzt war. Die Schweiz verstärkte in den 1980er Jahren den Kampf gegen die Geldwäscherei und akzeptierte nicht, dass sich zwischen ihr und Liechtenstein ein Regelungsgefäl- le auftat. Die Schweizer Regierung wollte nicht zu- lassen, dass «der Finanzplatz Liechtenstein zur Um- gehung der schweizerischen Rechtsordnung miss- braucht werden kann».89 Dieser Wink mit dem Zaunpfahl tat seine Wirkung. 1993 erhielten die Liechtensteiner Treuhänder und Rechtsanwälte Standesorganisationen öffentlichen Rechts, welche die Überwachung ihres Berufes verbesserten. 1993/94 trat ein neues Bankengesetz in Kraft, das insbesondere die Aufsicht über den liechten- steinischen Bankensektor verstärkte. 1996 wurde die Sorgfaltspflicht, auf welche sich die Banken 1977 «freiwillig» geeinigt hatten, in ein verbindli- ches Gesetz umgewandelt und auf alle Finanz- intermediäre, also auch auf die Anwälte und Treu- händer, ausgedehnt. 1997 musste der abgeschottete liechtensteinische Anwaltsmarkt für EU-Bürger geöffnet werden. Vor den Änderungen der 1990er Jahre waren die wenigen Liechtensteiner Stellen, denen die Abwehr krimineller Gelder oblag, auf ver- lorenem Posten gewesen. So stellte die Bankenkom- mission 1988 fest, dass eine «effiziente Überwa- chung» der Banken unmöglich sei,90 und der liech- tensteinische Staatsanwalt Frommelt beschwerte sich 1986 bei der Regierung über zu wenig Personal sowie seine «gesellschaftliche Isolierung».91 Das Gesellschaftswesen bereite ihm «grosse Verant- wortlichkeitsprobleme». Die damit zusammenhän- gende Wirtschaftskriminalität sei ein Problem, das 98