Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2006) (105)

SOUVERÄNITÄT ALS STANDORTFAKTOR CHRISTOPH MARIA MERKI ren es dann wieder 20 Prozent bis 25 Prozent.69 Vor dem Beitritt Liechtensteins zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) klärte die liechtensteini- sche Steuerverwaltung die fiskalische Bedeutung des Gesellschaftswesens ab. Nach ihren Berech- nungen stammten im Jahre 1990 36 Prozent aller Landeseinnahmen direkt oder indirekt aus dem Gesellschaftswesen.70 Auch wenn sich der Anteil des Finanzplatzes am Steueraufkommen nicht im- mer genau beziffern lässt, so können hier doch zwei Punkte festgehalten werden: - In den Jahren 1927 bis 1939 sowie seit den spä- ten 1950er Jahren erbrachte das Gesellschafts- wesen alles in allem etwa ein Drittel bis die Hälfte der gesamten Steuereinnahmen Liechtensteins. - Diese Einnahmen gestatteten es, die anderen Steuerträger des Landes zu entlasten, nament- lich die Industrieunternehmen und die natür- lichen Personen. Bis in die 1950er Jahre hinein beschäftigte das Ge- sellschaftswesen nur wenige Arbeitskräfte. 1940 dürften es etwa zwei Dutzend Personen gewesen sein, die direkt und hauptsächlich von den interna- tionalen Beziehungen des «Finanzplatzes» Liech- tenstein lebten: drei, vier Anwälte, die zehn Ange- stellten der Bank in Liechtenstein sowie einige nicht akademisch gebildete Treuhänder (die so ge- nannten Rechtsagenten). Dies entsprach einem Be- schäftigtenanteil von 0,6 Prozent.71 Heute dürfte dieser Anteil auf rund 15 Prozent gestiegen sein, wobei es nicht immer klar ist, wer direkt und hauptsächlich für den Finanzplatz arbeitet: Bank- angestellte, Anwälte, Unternehmensberater, Infor- matiker, Wirtschaftsprüfer, verschiedene Hotels und Druckereien, aber auch und in zunehmendem Masse die Landesverwaltung (Richter, Register- und Steuerbeamte, Aufsichtsbehörden, Imagepfle- ger). Die Zahl der Anwälte wuchs von 3 (in den 1930er Jahren) auf 9 (1951), 18 (1970) und 50 (1995).72 Seit dem Beitritt Liechtensteins zum EWR, der den Anwaltsmarkt auch für Bürger der EU öff- nete, verdoppelte sich die Zahl der Liechtensteiner Anwälte auf über hundert. Ähnliche Zuwachsraten verzeichneten auch die Treuhänder und die Bank-angestellten. 
Die Zahl der letzteren wuchs von 24 (1950) auf 1758 (2000). Hand in Hand mit der Zunahme der Beschäftigten ging deren Differenzierung. Ursprünglich war der einzelne Rechtsagent für seine Klienten Treuhän- der, Rechtsbeistand, Wirtschaftsberater, Vermö- gensverwalter und Bilanzprüfer in einem. Mittler- weile gibt es für alle diese Funktionen spezielle Be- rufe oder spezialisierte Betriebe. Den Markt für die Verwaltung der Sitzunternehmen dominieren heu- te einige grosse Anwaltskanzleien und Treuhand- büros wie das Allgemeine Treuunternehmen (ATU), die First Advisory Group, die Kanzlei Marxer & Partner und die Präsidial-Anstalt. Es kann dabei durchaus vorkommen, dass auf einen einzelnen, dort tätigen Anwalt tausend Sitzunternehmen ent- fallen. Daneben gibt es mittlere und kleinere Büros, die sehr viel weniger Sitzunternehmen betreuen. Früher war es in Liechtenstein üblich, dass man 65) Zur Entwicklung dos Gescllschaftswesens in dieser Zeit: Lussy/Löpez 2005 (wie Anm. 41). 66) Veiter, Theodor: Liechtenstein als Sitz von Holdings und Ver- bandspersonen. In: Wirtschaftspolitische Blätter, Heft 6/1976, S. 134-143. 67) Einige Überlegungen zur Herkunft und Höhe der in den Sitzun- ternehmen angelegten Kapitalien in: Merki, Christoph Maria: Der Finanzplatz Liechtenstein: Zürichs attraktive Aussensteile. In: Eu- ropas Finanzzenlren. Geschichte und Bedeutung im 20. Jahrhun- dert. Hrsg. Christoph Maria Merki. Frankfurt a.M./New York. 2005. S. 167-195, hierS. 175. 68) Geiger 1997 (wie Anm. 14). Bd. 1, S. 200-203. 69) LLA, RF 278/72/26 (Memorandum vom Oktober 1958). 70) LLA, RF 349/18 (Steuerliche Anpassungsmöglichkeiten zur Er- haltung unseres Gesellschaftswesens im EWR, vertraulicher Bericht des Steuerverwalters Bruno Sprenger vom 25. Mai 1992). Zu den direkten Einnahmen in der Höhe von 100 Millionen Franken zählte die Steuorverwaltung, die besondere Gesellschaftssteuer, die Grün- dungsgebühren, die Eintragungs- und Beglaubigungsgcbühren sowie Teile der Couponsteuer und der Emissionsabgaben. Weitere 30 Mil- lionen Franken generierte der Sektor auf indirekte Art und Weise, so über die Vermögens-, die Erwerbs-, die Kapital- und Ertragsstcuer. ferner über die Gebühren der Post- und Telckommunikationsbe- triebe. 71) Merki 2003 (wie Anm. 1), S. 71. 72) LLA, RF 266/67 (Anwaltslistc 1951), LLA, RF 301/43/1 (Liste 1970). 95
	        

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