Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2006) (105)

hungen.116 Obwohl einige grosse Staaten wie die USA, die Volksrepublik China und Russland bis an- tun das Statut des IStGH nicht unterzeichnet ha- ben, zeugen die 100 Mitglieder dieser Organisation von der weit verbreiteten Akzeptanz zur Anerken- nung überstaatlicher gerichtlicher Instanzen. Diese Inkaufnahme einer weiteren Einschränkung der inneren und der äusseren Souveränität ist ein wei- teres Indiz für die Entstehung einer Weltgesell- schaft und der Verrechtlichung der internationalen Beziehungen. HUMANITÄRE INTERVENTIONEN Das Ende des Kalten Krieges schuf ein kooperati- ves weltpolitisches Klima und begünstigte Bemü- hungen, die auf die Beendigung langjähriger krie- gerischer Konflikte abzielten. Zunächst richteten sich diese Anstrengungen vornehmlich auf die Ab- wicklung ehemaliger Steilvertreterkriege. Später kamen andere, anhaltende oder neu ausbrechende Kriege und gewalttätige Staatszerfallsprozesse in Europa und in der Dritten Welt hinzu, die komple- xe humanitäre Katastrophen mit sich brachten und zunehmend in regionale und internationale politi- sche und ökonomische Kontexte eingebettet wa- ren.117 In ihrer «Agenda für den Frieden»118 defi- nierte die UNO die Bewältigung von Kriegsfolgen und die Absicherung von Friedensprozessen als neue Verantwortung für die Weltgemeinschaft. In den 1990er Jahren widmete sich die UNO intensiv der weiteren konzeptionellen Ausarbeitung und praktischen Umsetzung der Agenda.119 Dabei sah sich die internationale Gemeinschaft zunehmend mit dem Problem konfrontiert, dass Staaten zwar die Vorteile ihrer de-iure-Souveränität genossen, aber gleichzeitig ihre inneren Strukturen kollabier- ten. Diese Konflikte führten im Extremfall zu einer Gefährdung des internationalen Friedens und der regionalen Stabilität. Da es als sehr unwahrschein- lich erscheint, dass kollabierende oder bereits kol- labierte Staaten sich aus eigner Kraft regenerieren können, ist es notwendig, in solchen Fällen inter- nationale Hilfe zu gewähren.120 
Die bisherigen Erfahrungen haben allerdings ge- zeigt, dass die internationale Gemeinschaft ihre Ziele nur in ungenügendem Ausmass erreichen konnte: bloss 43 Prozent aller Peacebuilding-Ope- rationen gelten als erfolgreich.121 Ein Problem der Friedenskonsolidierung liegt am unzureichenden Instrumentarium, das vor allem die Gewährung auswärtiger Hilfe und die Einrichtung einer Über- gangsverwaltung vorsieht, aber aufgrund des In- terventionsverbotes an seine Grenzen stösst. Die effektive Friedenskonsolidierung macht jedoch fall- weise weitergehende Massnahmen wie etwa hu- manitäre Interventionen erforderlich, mittels de- nen Protektorate eingerichtet oder geteilte Souver- änitäten geschaffen werden können, im Rahmen derer sich internationale und lokale Behörden die Staatsaufgaben teilen.122 Allerdings sind die rechtlichen Grundlagen sol- cher Operationen, die bereits in Somalia, Bosnien und Kosovo durchgeführt worden waren, umstrit- ten. Es war insbesondere die Intervention in Koso- vo, die Anlass zu Diskussionen gegeben hat, da sie ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates durchge- führt worden war. Obwohl zahlreiche Vorschläge - unter anderem auch von einer von der UNO einge- setzten Kommission123 - unterbreitet wurden, die sich mit der Frage beschäftigen, unter welchen Be- dingungen humanitäre Interventionen zulässig sind und welche Auswirkungen sie auf die Souveränität haben, ist bis heute diese Frage nicht definitiv ge- klärt worden, weil die Befürchtungen vor der Aus- höhlung des Interventionsverbots und die Angst vor der politischen Instrumentalisierung der huma- nitären Interventionen nicht ausgeräumt werden konnten. PRÄEMPTIVE VERTEIDIGUNG Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem darauf folgenden Kampf gegen den Terroris- mus befinden sich die UNO und das Völkerrecht in einer «Weltordnungskrise.»124 Seit diesem Zeit- punkt drängt die US-Regierung auf drastische Revi- sionen der bestehenden Regeln der Friedenssiche- 70
	        

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