Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2006) (105)

VON WESTFALEN ZUM GLOBAL VILLAGE ZOLTÄN TIBOR PÄLLINGER ZEITALTER DES VÖLKERBUNDS Die Schaffung des Völkerbundes stellte einen ers- ten Versuch der internationalen Gemeinschaft dar, auf die veränderten Verhältnisse nach dem Ersten Weltkrieg zu reagieren. Sein Hauptziel war es, den Weltfrieden zu sichern und die internationale Zu- sammenarbeit zu fördern.44 Die Satzung des Völ- kerbundes (SVB)45 enthielt ein eigentliches Kriegs- verhütungsrecht, das auf den Pfeilern der Abrüs- tung, Schiedssprechung und Sicherheit basierte.46 Ausgehend von der Verpflichtung, dass die Mitglie- der des Völkerbundes gegenseitig ihre territoriale Unversehrtheit und politische Unabhängigkeit zu respektieren und gegen jeden äusseren Angriff auf- rechtzuerhalten hatten (SVB, Art. 10), sollte der Krieg mittels eines Systems der kollektiven Sicher- heit verhindert werden. Artikel 11, Absatz 1 der SVB formulierte diesen Gedanken wie folgt: «Es wird ausdrücklich erklärt, dass jeder Krieg und jede Kriegsdrohung, den ganzen Völkerbund angeht, und dass dieser die erforderlichen Mass- nahmen ergreifen soll, um den Völkerfrieden aufrechtzuerhalten.» Ein Angriff gegen ein einzel- nes Mitglied sollte als Angriff gegen alle anderen Mitglieder des Völkerbundes gelten. Im Falle eines solchen Angriffs waren die Mitgliedstaaten ver- pflichtet, unverzüglich alle Handels- und Finanzbe- ziehungen abzubrechen und jeden finanziellen, kommerziellen und persönlichen Verkehr ihrer Staatsangehörigen mit dem Aggressor zu unterbin- den (SVB, Art. 16 Abs. 1). Ein generelles Kriegsver- bot war zwar in der Satzung des Völkerbundes noch nicht enthalten. Der Grundsatz, dass die Ent- scheidung für den Krieg nicht mehr ausschliesslich Sache der einzelnen Staaten sei, bedeutete jedoch eine Absage an das ius ad bellum.47 Obwohl der Völkerbund sich bemühte, das parti- elle Kriegsverbot zu stärken und auszudehnen, trat das Genfer Protokoll vom 2. Oktober 1924, das ein Verbot des Angriffskrieges vorsah und diesen sogar ausdrücklich als «internationales Verbrechen» be- zeichnete, nie in Kraft.48 Hingegen konnte die Aus- weitung des partiellen zu einem generellen Kriegs- verbot im Briand-Kellog-Pakt vom 27. August 1928 
vollzogen werden.49 Darin verpflichteten sich die Vertragsparteien, den Krieg als Mittel für die Lö- sung internationaler Streitfälle zu verurteilen, auf ihn als Werkzeug nationaler Politik in ihren gegen- seitigen Beziehungen zu verzichten (Art. I.) und Streitigkeiten stets mit friedlichen Mitteln beizule- gen (Art. IL). Das Recht zur Selbstverteidigung war vom Kriegsverbot hingegen nicht tangiert. Insge- samt trat die überwiegende Mehrheit der Völker- bundsstaaten dem Briand-Kellog-Pakt bei. Es fehl- ten nur vier südamerikanische Staaten, die aber untereinander durch den Saavedra-Lamas-Vertrag vom 10. Oktober 1933 ähnliche Verpflichtungen eingegangen waren. Aus diesem Grund wird von der Völkerrechtsliteratur fast einhellig die Meinung vertreten, dass das Kriegsverbot schon vor dem 36) Kimminich 1990, S. 76. 37) 1864 wurde die erste Genfer Konvention angenommen. Das aus historischer Sicht zweite Abkommen war die derzeitige dritte Genfer Konvention aus dem Jahr 1929. Zusammen mit den beiden neuen Abkommen wurden die bestehenden Konventionen 1949 überarbei- tet und 1977 durch zwei Zusatzprotokolle ergänzt, welche erstmals Regeln zum Umgang mit Kombattanten in den Kontext der Genfer Konventionen integrieren (Hasse/Müller 2001, S. 28 ff.). Vgl. ausser- dem Randelzhofer 2004, S. 721-780, sowie Dunant 1942. 38) Die 13 auf den Haager Friedenskonferenzen 1899 und 1907 zwi- schen den wichtigsten damaligen Mächten abgeschlossenen Abkom- men werden als die Haager Konventionen bezeichnet. In ihnen wer- den die Verfahren, die zulässigen Mittel und Methoden der Krieg- führung sowie Regeln für den Umgang mit Personen festgelegt, die an den Kriegshandlungen beteiligt sind. Sie sind grossteils bis heute noch gültig. Vgl. Kimminich 1990, S. 434 und Randelzhofer 2004, S. 605-620 sowie S. 713-720. 39) Verdross. Simma 1984, S. 65. 40) Müller-Wewel 2003, S. 176. 41) Kimminich 1990, S. 76. 42) Verdross, Simma 1984, S. 62. 43) Kimminich 1990, S. 77 ff. 44) Verdross, Simma 1984, S. 66. 45) Satzung des Völkerbundes in: BBL 1919 IV, S. 650-663. 46) Kimminich 1990, S. 84. 47) Ebenda, S. 86. 48) Ebenda, S. 89. 49) Vertrag über die Ächtung des Krieges (Briand-Kellog-Pakt). In: Randelzhofer 2004, S. 603-604. 59
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.