Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2006) (105)

BEGRIFFSBESTIMMUNG Obschon bereits im Altertum verschiedene, vonein- ander unabhängige Staaten existiert hatten, ent- stand der Begriff der staatlichen Souveränität erst gegen Ende des Mittelalters im Kampf gegen den weltlichen Vorherrschaftsanspruch des Heiligen Römischen Reichs und des Papstes.6 Die Wurzel dieses Konflikts lag im Übergang von der Feudal- herrschaft zum Territorialstaat. So wurde seit Be- ginn des 13. Jahrhunderts in Frankreich die These vertreten, dass der König von Frankreich in seinem eigenen Königreich eine kaisergleiche Position in- nehabe («rex Franciae est imperator in suo reg- no»).7 Gegen Ende des 13. Jahrhunderts wurde dieser Gedanke in England und im 14. Jahrhundert auch in Deutschland aufgegriffen. Ein ähnlicher Anspruch wurde von den italienischen Stadtrepu- bliken vertreten, die sich als «civitates qui utuntur jurisdictione imperiali» verstanden.8 Eine eigentliche Theorie der Souveränität findet sich jedoch erst Ende des 16. Jahrhunderts bei Jean Bodin, der in seinen «Les Six Livres de la Re- publique» den Begriff «souverainete» als «puis- sance absolue et perpetuelle d'une Republique»9 definiert und zur Grundlage einer systematischen Lehre vom Staat macht. Diese höchste Macht ist absolut und unteilbar. Der Souverän kann Gesetze erlassen, ohne dass ihnen irgendjemand anders zustimmen müsste. Zugleich ist er selbst an keine - menschlichen - Gesetze, sondern nur an das «Na- tur-» und das «Völkerrecht» gebunden. Als «Sou- verän» sind demnach jene Gemeinschaften oder Personen anzusehen, die keiner höheren - irdi- schen - Instanz (potestas) untergeordnet sind.10 Mitte des 18. Jahrhunderts vertiefte Emer de Vattel die Analyse der staatlichen Souveränität und ermittelte drei konstitutive Merkmale des Begriffs: Unabhängigkeit von anderen Staaten, Selbstregie- rung sowie als drittes, abgeleitetes Kriterium, wel- ches sich aus den beiden vorhergehenden ergibt, die Völkerrechtsunmittelbarkeit.11 Diese Definition entwickelte sich zur geltenden Doktrin des klassi- schen Völkerrechts. So bestätigte etwa der Ständi- ge Internationale Gerichtshof 1929 in seinem 
Schiedsspruch zum Palmas-Fall die Gültigkeit die- ser Auffassung: «Sovereignity in the relation bet- ween States signifies independence. Independence in regard to a portion of the globe is the right to exercise therein, to the exclusion of any other State, the functions of a State.»12 Gemäss dieser Lesart lässt sich Souveränität wie folgt bestimmen: Ein Staat ist souverän, wenn er keiner anderen Auto- rität unterstellt ist als der des Völkerrechts, also völkerrechtsunmittelbar ist.13 Im Rahmen der wei- teren Untersuchung wird von diesem Souverä- nitätsbegriff ausgegangen. DIMENSION DER SOUVERÄNITÄT Nach der Bestimmung des Begriffs werden in die- sem Abschnitt die relevanten Dimensionen der Souveränität herausgearbeitet. Dabei gehen wir von den gebräuchlichsten Differenzierungen aus, die im Völkerrecht und in der Politikwissenschaft (Theorien der Internationalen Beziehungen) getrof- fen werden. In diesem Zusammenhang muss je- doch von Beginn weg darauf hingewiesen werden, dass nicht alle vorgestellten Souveränitätsdimen- sionen von gleicher Bedeutung sind.14 In der völkerrechtüchen Literatur werden an- hand von vier Begriffspaaren folgende Dimensio- nen der Souveränität unterschieden: 1. absolute und relative Souveränität, 2. positive und negative Souveränität, 3. innere und äussere Souveränität sowie 4. rechtliche und politische Souveränität.15 Die erste Unterscheidung zwischen relativer und absoluter Souveränität zielt auf den Geltungsbe- reich des Souveränitätsprinzips ab. Während rela- tive Souveränitätsauffassungen gewisse Einschrän- kungen der Souveränität, die sich insbesondere aus der Existenz anderer, gleichberechtigter Staaten ergeben, als zulässig erachten, sind gemäss den absoluten Auffassungen keinerlei Souveränitätsbe- schränkungen möglich. Absolute Souveränität, ver- standen als rechtliche Ungebundenheit, kann es folglich in einem System souveräner Gleichheit aus Gründen der Logik nicht geben,16 liesse sich doch 54
	        

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