Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2006) (105)

Prinzen und nachmaligen Kaisers Karl VI. beauf- tragt. An der Kaiserkrönung seines Zöglings in Frankfurt wirkte er 1711 massgeblich mit. Seit 1706 verfügten die Liechtensteiner auch über ei- nen repräsentativen Stadtsitz in der Kaiserresidenz des Heiligen Römischen Reiches. Fürst Josef Wen- zel Lorenz (1696/1748-1772) diente als kaiserli- cher Offizier, Feldherr und Botschafter. 1760 über- führte er in einer berühmt gewordenen Fahrt mit 94 sechsspännigen Prachtkarossen die Braut des Kronprinzen des Heiligen Römischen Reiches von Parma über die Alpen nach Wien. Der 1805 nachrückende Fürst Johann Josef I. versuchte an diese Tradition anzuknüpfen, doch fiel ihm die eher tragische Rolle zu, als General die kaiserli- chen Armeen in den Todeskampf des Heiligen Rö- mischen Reiches zu führen.63 REICHSUNTERGANG UND SOUVERÄNITÄT (1806 BIS 1866) Liechtenstein gehört zu jenen Staaten, die die Sou- veränität nicht erkämpft oder sonstwie aktiv her- beigeführt haben, sondern sie ganz unter dem Ein- fluss externer Umstände empfangen haben. Es gab auch keine schleichende Anbahnung vor 1806. Vielmehr handelte es sich um eine Konsequenz der Zerstörung des Reichsverbandes. Dieser ist nicht langsam zerfaUen, sondern einer eruptiven Gewalt- spirale zum Opfer gefallen, die in den gesamtkultu- rellen Systembruch «um 1800» eingebettet war. Militärisch vernichtet wurde das Heilige Römische Reich seit 1791 schrittweise vom Staat der aufge- klärten Revolution in Frankreich, der in der ideel- len Primärmonarchie Alt-Europas seine intimste Antithese erblickte. Entscheidend war, dass Frank- reich unter dem Eindruck seiner Siege einen Kreis von armierten Reichsständen als reichsinterne Op- position zum Kaiser aufzubauen vermochte, die ausgehend vom reichsverfassungsdurchbrechen- den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 bis zur Niederlegung der Reichskrone im Jahre 1806 grosse Teile des Reichsgebietes in ahistorischen Grenzen unter sich aufteilte. Dem Kaiser blieb nur 
ein Restkaisertum unter dem Namen der Dynastie Österreich. Dass das kaisertreue Liechtenstein in diesen Ge- schehnissen nicht auf dem Wege der Mediatisie- rung der regionalen Staatsgewalt eines der neuen Putschkönigtümer unterstellt wurde, wie es allen vergleichbar kleinen Herrschaftsgebilden des Schwä- bischen Reichskreises erging, sondern dass die Elfdörferherrschaft sogar in die Föderation der 16 Putschmächte, den Rheinbund von 1806, aufge- nommen wurde, und zwar ohne Mitwirkung an der Gründungsakte, war der Schlüssel zu seiner Sou- veränität. Über die Hintergründe dieser Laune Na- poleons ist viel spekuliert worden. Ob es sich um eine Respektsgeste an den General der unterlege- nen Truppen handelte oder um einen Versuch, die- sen begabten General in das eigene Lager herüber- zuziehen, ist alles andere als zweifelsfrei geklärt. Auch ist möglich, dass die reichspolitische Stellung des Hauses Liechtenstein und die pure Grösse sei- ner reichsmittelbaren Flerrschaften um Feldsberg eine Unübergehbarkeit implizierten, während geo- politische Hintergedanken Napoleons am Alpen- rhein wohl auszuschliessen sind.64 Die Souveränität Liechtensteins blieb ausgespro- chen beschränkter Natur: Zunächst durch den Rheinbund und das Protektorat des napoleoni- schen Frankreich; und nach 1815 durch seinen gliedstaatlichen Charakter im Rahmen einer an die Stelle des Heiligen Römischen Reiches tretenden Föderation unter österreichischem Präsidium, dem Deutschen Bund. Moderne Analysen der Bundes- verfassung von 1815 lassen hier nicht mehr bloss einen Staatenbund, sondern angesichts der bun- desinternen Friedenspflicht (kein «ius ad bellum»), der Bundesexekutivmacht, der Homogenitätsvor- gaben und der Unauflöslichkeit eher einen Zwi- schentyp zwischen Staatenbund und Bundesstaat,65 vielleicht unter Aufgreifen einer jüngeren Begriff- lichkeit einen Staatenverbund, erkennen. Ausge- hend von der im modernen deutschen Staatsrecht nicht sehr geschätzten Lehre von der vertikalen Teilbarkeit der Souveränität, wie sie Föderalismus- modellen des amerikanischen Doppelkontinents oder auch Artikel 3 der schweizerischen Bundes- 28
	        

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