Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2006) (105)

bis zu dem zu gehen die lokalen Gerichte legiti- miert wurden, das aber keinesfalls überschritten werden durfte (Art. 104 der Carolina). Unter den Zugehörigen der Herrschaften Vaduz und Schellenberg gab es nicht nur Hexer und ver- folgungsgewillte Denunzianten, sondern auch ei- nen mutigen Pfarrer und fünf justizgeschädigte Zu- gehörige, die am 17. Dezember 1680 einen Reichs- hofratsprozess40 gegen den Grafen von Hohenems- Vaduz in Gang setzten. Anstelle einer direkten Herrschaftsklage wurde der Umweg über eine Sup- plikation an einen angesehenen Reichsfürsten der Nachbarschaft, Herzog Karl Leopold von Lothrin- gen, den Gubernator von Tirol und Verwalter der an Vaduz grenzenden kaiserlichen Herrschaften, gewählt. Dessen Hofgericht war für die schwäbi- sche Reichsgrafschaft zwar unzuständig, doch war er mit den Vaduzer Geschehnissen vertraut. So liess er ein Gutachten im Sinne der sich Beschwe- renden erstellen, mit dem er am 8. Februar 1681 beim Wiener Reichshofrat beantragte, ein Fortset- zungsverbot zu erlassen und, wie es sich in Prozes- sen von politischer Dimension bewährt hatte,41 eine kaiserliche Kommission zu entsenden.42 Am 12. Mai 1681 ordnete der Reichshofrat im Namen Kaiser Leopolds I. (1658-1705) das einst- weilige Fortsetzungsverbot an.43 Zudem ernannte er Abt Rupert von Kempten (1678-1728), einen gleichermassen in der Region verankerten wie kai- sernahen geistlichen Reichsfürsten, zum Leiter ei- ner das Reichsoberhaupt vor Ort vertretenden Un- tersuchungskommission. Ruperts an den Univer- sitäten Strassburg, Salzburg und Padua erworbene juristische Qualifikation lässt sich dadurch illustrie- ren, dass er in späteren Jahren mit der Visitation des 1690 nach Wetzlar verlagerten Reichskammer- gerichts sowie mit der Stelle des höchsten deut- schen Richters, des Reichshofratspräsidenten (1707- 1713), betraut wurde.44 Der kaiserliche Kommissar erhielt den Auftrag, die Vaduzer Prozessakten zu beschlagnahmen und zur Begutachtung an eine Ju- ristenfakultät zu überstellen. Die Wahl fiel auf die Universität Salzburg im Bayerischen Reichskreis. Deren 600-seitiges Gutachten vom 15. Oktober 1682 erklärte alle 122 Prozesse wegen schwerwie-gender 
Verfahrensmängel für nichtig. Gerügt wur- den die Verfahrenseinleitung und Gefangennahme ohne ausreichende Gründe, die fehlende Bekannt- gabe der Grundlage der Anklage, die Anwendung der Folter ohne Einhaltung der erforderlichen Min- destindizien, unzulässige sadistische Folterarten, Suggestiv- und Fangfragen, die peinliche Befra- gung ohne Anwesenheit der Gerichtspersonen, die Verwertung der Folterprotokolle ohne nachherige «freiwillige» Bestätigung, die teilweise fragwürdige Identität von Zeugen und Gerichtsbeisitzern, die Parteilichkeit der fanatischen Richter, undurchsich- tige Vermögenskonfiskationen wie allgemein die Schlampigkeit der Akten.45 Beim Reichshofrat zog sich das Verfahren ange- sichts der Belagerung Wiens durch die osmanische Armee (1683) noch zwei Jahre hin. Eine weitere Delegation der Gemeinden erhob am 10. Januar 1684 ergänzende Klage gegen ihren Grafen im Dis- put um die Reichssteuern. Insbesondere wurde dargelegt, dass bei den Hexenprozessen im grossen Stile Bauerngüter und sonstige Vermögenswerte be- schlagnahmt und den Gerichtsgemeinden übertra- gen worden waren, um ausgelegte Reichssteuern abzubezahlen. Gerügt wurden weiterhin Zwangs- rekrutierungen von Herrschaftszugehörigen für den 40) Die Dokumente des Reichshofrats-Verfahrens befinden sich im Österreichischen Staatsarchiv in Wien. Abteilung Haus-, Hof- u. Staatsarchiv (HHStA), Reichshofrats-Judicialia, Serie Denegata antiqua 96. 41) Polster, Gert: Die elektronische Erfassung des Wolfschen Rcper- toriums zu den Prozessakten des Roichshofrats im Wiener Haus-, Hof- u. Staatsarchiv; Beitrag für: Mitteilungen des Österr. Staatsar- chivs 50 (2002), S. 1-11, hier S. 5. Zu den Kommissionen: Ortlieb, Eva: Im Auftrag des Kaisers. Die kaiserlichen Kommissionen des Rcichshofrats und die Regelung von Konflikten im Alten Reich (1637-57). Köln. 2001, S. 41 ff. und S. 346 ff. 42) Seger (1957). S.152 und S. 155. 43) Auszugsweise abgedruckt bei: Seger (1957). S. 156. 44) Zur Person: Seger. Otto: Rupert von Bodman, Fürstabt von Kempten. In JBL 78 (1978), S. 183-201. 45) Das Gutachton hegt vor im Österreichischen Staatsarchiv in Wien, HHStA, Reichshofrats-Judicialia, Denegata antiqua 96 und im Salzburger Landesarchiv (Kopie im Landesarchiv Vaduz). Zusam- mengoiässt bei: Seger (1957), S. 162 f. und Tschaikner (1998), S. 90. 22
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.