bis zu dem zu gehen die lokalen Gerichte legiti- miert wurden, das aber keinesfalls überschritten werden durfte (Art. 104 der Carolina). Unter den Zugehörigen der Herrschaften Vaduz und Schellenberg gab es nicht nur Hexer und ver- folgungsgewillte Denunzianten, sondern auch ei- nen mutigen Pfarrer und fünf justizgeschädigte Zu- gehörige, die am 17. Dezember 1680 einen Reichs- hofratsprozess40 gegen den Grafen von Hohenems- Vaduz in Gang setzten. Anstelle einer direkten Herrschaftsklage wurde der Umweg über eine Sup- plikation an einen angesehenen Reichsfürsten der Nachbarschaft, Herzog Karl Leopold von Lothrin- gen, den Gubernator von Tirol und Verwalter der an Vaduz grenzenden kaiserlichen Herrschaften, gewählt. Dessen Hofgericht war für die schwäbi- sche Reichsgrafschaft zwar unzuständig, doch war er mit den Vaduzer Geschehnissen vertraut. So liess er ein Gutachten im Sinne der sich Beschwe- renden erstellen, mit dem er am 8. Februar 1681 beim Wiener Reichshofrat beantragte, ein Fortset- zungsverbot zu erlassen und, wie es sich in Prozes- sen von politischer Dimension bewährt hatte,41 eine kaiserliche Kommission zu entsenden.42 Am 12. Mai 1681 ordnete der Reichshofrat im Namen Kaiser Leopolds I. (1658-1705) das einst- weilige Fortsetzungsverbot an.43 Zudem ernannte er Abt Rupert von Kempten (1678-1728), einen gleichermassen in der Region verankerten wie kai- sernahen geistlichen Reichsfürsten, zum Leiter ei- ner das Reichsoberhaupt vor Ort vertretenden Un- tersuchungskommission. Ruperts an den Univer- sitäten Strassburg, Salzburg und Padua erworbene juristische Qualifikation lässt sich dadurch illustrie- ren, dass er in späteren Jahren mit der Visitation des 1690 nach Wetzlar verlagerten Reichskammer- gerichts sowie mit der Stelle des höchsten deut- schen Richters, des Reichshofratspräsidenten (1707- 1713), betraut wurde.44 Der kaiserliche Kommissar erhielt den Auftrag, die Vaduzer Prozessakten zu beschlagnahmen und zur Begutachtung an eine Ju- ristenfakultät zu überstellen. Die Wahl fiel auf die Universität Salzburg im Bayerischen Reichskreis. Deren 600-seitiges Gutachten vom 15. Oktober 1682 erklärte alle 122 Prozesse wegen schwerwie-gender
Verfahrensmängel für nichtig. Gerügt wur- den die Verfahrenseinleitung und Gefangennahme ohne ausreichende Gründe, die fehlende Bekannt- gabe der Grundlage der Anklage, die Anwendung der Folter ohne Einhaltung der erforderlichen Min- destindizien, unzulässige sadistische Folterarten, Suggestiv- und Fangfragen, die peinliche Befra- gung ohne Anwesenheit der Gerichtspersonen, die Verwertung der Folterprotokolle ohne nachherige «freiwillige» Bestätigung, die teilweise fragwürdige Identität von Zeugen und Gerichtsbeisitzern, die Parteilichkeit der fanatischen Richter, undurchsich- tige Vermögenskonfiskationen wie allgemein die Schlampigkeit der Akten.45 Beim Reichshofrat zog sich das Verfahren ange- sichts der Belagerung Wiens durch die osmanische Armee (1683) noch zwei Jahre hin. Eine weitere Delegation der Gemeinden erhob am 10. Januar 1684 ergänzende Klage gegen ihren Grafen im Dis- put um die Reichssteuern. Insbesondere wurde dargelegt, dass bei den Hexenprozessen im grossen Stile Bauerngüter und sonstige Vermögenswerte be- schlagnahmt und den Gerichtsgemeinden übertra- gen worden waren, um ausgelegte Reichssteuern abzubezahlen. Gerügt wurden weiterhin Zwangs- rekrutierungen von Herrschaftszugehörigen für den 40) Die Dokumente des Reichshofrats-Verfahrens befinden sich im Österreichischen Staatsarchiv in Wien. Abteilung Haus-, Hof- u. Staatsarchiv (HHStA), Reichshofrats-Judicialia, Serie Denegata antiqua 96. 41) Polster, Gert: Die elektronische Erfassung des Wolfschen Rcper- toriums zu den Prozessakten des Roichshofrats im Wiener Haus-, Hof- u. Staatsarchiv; Beitrag für: Mitteilungen des Österr. Staatsar- chivs 50 (2002), S. 1-11, hier S. 5. Zu den Kommissionen: Ortlieb, Eva: Im Auftrag des Kaisers. Die kaiserlichen Kommissionen des Rcichshofrats und die Regelung von Konflikten im Alten Reich (1637-57). Köln. 2001, S. 41 ff. und S. 346 ff. 42) Seger (1957). S.152 und S. 155. 43) Auszugsweise abgedruckt bei: Seger (1957). S. 156. 44) Zur Person: Seger. Otto: Rupert von Bodman, Fürstabt von Kempten. In JBL 78 (1978), S. 183-201. 45) Das Gutachton hegt vor im Österreichischen Staatsarchiv in Wien, HHStA, Reichshofrats-Judicialia, Denegata antiqua 96 und im Salzburger Landesarchiv (Kopie im Landesarchiv Vaduz). Zusam- mengoiässt bei: Seger (1957), S. 162 f. und Tschaikner (1998), S. 90. 22