Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2006) (105)

mentiert sind. Die in den folgenden Jahren aufge- baute Kunstsammlung von Weltrang (sie umfasst unter anderem Werke von Cezanne, Matisse, Picas- so, Braque, Leger, Mondrian, Klee, Monet und Du- buffet) wurde erst 1998, zehn Jahre nach Steeg- manns Tod, von der Staatsgalerie Stuttgart der Öf- fentlichkeit präsentiert. Die Überprüfung einzelner Provenienzen wie die 1941 «arisierte» Galerie Bernheim-Jeune und die vom Einsatzstab Reichslei- ter Rosenberg in Paris beschlagnahmte Sammlung von Alphonse Kann, erbrachte keinen konkreten Beleg für Raub- oder Fluchtgut, doch empfiehlt Tisa weitere Abklärungen. Der deutsche Architekt, Bauingenieur und Unter- nehmer Kurt Herrmann liess sich 1931 aus Finanz- gründen in Liechtenstein einbürgern, ohne sich zunächst dort niederzulassen. Herrmann, der nie der NSDAP beitrat, «arisierte» 1938 den Leipziger Musikalienverlag C. F. Peters sowie die Berliner Ju- welierfirma Gebr. Friedländer, die unter der neuen Bezeichnung «Deutsche Goldschmiedekunst-Werk- stätten» bei der Verwertung enteigneter Juwelen eine massgebliche Rolle spielte. Herrmann zählte zum weiteren Kreis um Göring, ging mit diesem auf die Jagd und bedachte ihn wiederholt mit Spenden und Geschenken. Dank seiner liechtensteinischen Staatsbürger- schaft konnte sich Herrmann Ende April 1945 ins Fürstentum retten. Sowohl die Niederlande als auch Belgien stellten Untersuchungen zu seinen Erwer- bungen während der Kriegsjahre an. Herrmann baute seine Kunstsammlung indes weiter aus, unter anderem durch Käufe bei den ehemaligen NS- Kunsthändlern Walter Andreas Hofer und Josef An- gerer in München. Der Verdacht, Herrmann habe sich in den besetz- ten Niederlanden widerrechtlich Diamanten ange- eignet und für Göring in die Schweiz verbracht, liess sich nach dem Krieg nicht eindeutig erhärten. Er wurde ferner beschuldigt, in Frankreich die Roth- schild-Juwelen aus dem Besitz von Noemi Halphen, der geschiedenen Ehefrau von Maurice de Roth- schild, erworben und Göring übergeben zu haben. 1950 erging ein französischer Haftbefehl gegen Herrmann, doch gemäss liechtensteinischem Recht 
wurde er nicht ausgeliefert. In einem in der Schweiz gegen ihn angestrengten Prozess wurde er freige- sprochen. Tisa geht jedoch davon aus, dass Herr- mann «mit großer Wahrscheinlichkeit ... die Roth- schild-Juwelen tatsächlich gekauft und danach bis zur Unkenntlichkeit abgeändert und weiterver- kauft» hat. Herrmann, der durch seine in Liechtenstein und in der Schweiz angesiedelten Gesellschaften seit den 1920er Jahren umfangreiche Vermögenswerte ausserhalb Deutschlands angelegt hatte, leistete die 1931 erworbene liechtensteinische Staatsbürger- schaft unbezahlbare Dienste, um seine Haut zu ret- ten und die Beschlagnahme seiner Vermögenswerte zu verhindern. Im Mai 1945 soll sich sein Vermögen in Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz, in Liechtenstein und Italien, wo er eine Villa an der li- gurischen Küste besass, auf über 80 Millionen Reichsmark belaufen haben. Tisa ist es in den meisten Fällen nicht gelungen, die Provenienzen der relativ umfangreichen und grösstenteils vor Kriegsende aufgebauten Samm- lung, bestehend aus Bildern, Teppichen, Möbelstü- cken und kunstgewerblichen Gegenständen, zu er- mitteln, da praktisch keine Ankaufsbelege und Da- ten zu den Werken selbst vorliegen. Gewisse Prove- nienzen hält sie für zweifelhaft und rät zu einer weiteren Abklärung. Konkrete Beweise für die Ver- schiebung von Raubkunst durch Herrmann nach Liechtenstein konnte sie nicht erbringen. Tisa hat erstmals auch die Ankaufspolitik von Fürst Franz Josef II. und dessen Sammlungsdirek- tor Dr. Gustav Wilhelm während der NS-Zeit im De- tail untersucht, und zwar auf Grundlage des um- fangreichen, wenn auch lückenhaften Bestandes «Kunstreferat» im Hausarchiv der Regierenden Fürsten von Liechtenstein in Wien. Die im Laufe von rund vier Jahrhunderten ent- standenen fürstlichen Sammlungen umfassen heute rund 40 000 Objekte: Gemälde (mit Schwerpunkt auf Werken der barocken Kunst des 17. Jahrhun- derts), Porzellan, Waffen, Graphiken, Silber und Skulpturen. Sammlungsdirektor Gustav Wilhelm, 1908 in Wien geboren, österreichischer Staatsbürger und 262
	        

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