Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2006) (105)

NATIONALE IDENTITÄT WILFRIED MARXER tionären Ausschuss gewählter Abgeordneter als Vertreter des Deutschen Bund-Mitglieds Liechten- stein zur Deutschen Nationalversammlung nach Frankfurt. Nach rund vier Monaten wurde er von Karl Schädler abgelöst.14 Als was gingen sie? Als Liechtensteiner? Oder als Vertreter eines Teilgebie- tes des avisierten deutschen Nationalstaates, wel- cher in der Frankfurter Paulskirche geschaffen wer- den sollte? Oder als Vertreter einer erst noch zu ent- wickelnden neuen Staatsidee Liechtensteins? Es ist durchaus möglich, dass bei der Abreise nach Frankfurt auch die Option eines Anschlusses Liechtensteins an einen künftigen deutschen Staat bestand. Nach Brunhart war Kaiser «grossdeutsch» gesinnt.15 Langewiesche ordnet Kaiser der Gruppe des «katholischen Frühliberalismus»16 zu, der sich dafür einsetzte, «den Deutschen Bund, diese Verei- nigung von Fürsten, in einen nationalen Verfas- sungsstaat zu verwandeln, doch er wollte keinen Zentralstaat, sondern die Gemeinden sollten ge- stärkt werden, und vor allem befürwortete er ent- schieden die historisch gewachsene föderative Viel- falt.»17 Bei der Rückkehr aus Frankfurt ging Kaiser deutlich auf Distanz zu einem deutschen National- staat, wenn er in seinem als politisches Testament18 zu betrachtenden Brief vom 25. November 1848 schreibt: «Wir können unsern Zustand nicht we- sentlich verbessern, wenn wir uns an einen grös- sern Staat anschliessen, sobald uns das allgemeine deutsche Bürgerrecht und der freie Verkehr gesi- chert ist. Wir müssen trachten, unser Glück uns sel- ber zu verdanken; der geht immer am sichersten, der sich auf seine eigene Kraft verlässt.»19 Wie dies auch gewesen sein mag, im Ergebnis ha- ben die Ereignisse der 1840er Jahre ein Erstarken, wenn nicht den Beginn einer erwachenden nationa- len Identität markiert. Press schreibt in diesem Zu- sammenhang: «Gewissermassen ein Erwecker und Prophet war Peter Kaiser für das kleine Volk von Liechtenstein, das mit erstaunlicher Gelassenheit den schwierigen Identitätsfmdungsprozess zwi- schen Deutschland, Österreich und der Schweiz, der Habsburger Monarchie, der deutschen Nationalbe- wegung und dem Schweizer Nachbarn bewältigt hat. Das entscheidende Verdienst von Peter Kaiser 
ist also seine Rolle für die Stiftung einer liechtenstei- nischen Identität. Sie war nicht nur auf den Fürsten, sondern auch auf das Volk begründet, das er sich selbst finden half.»20 Der Beginn eines in breiteren Schichten - Press spricht von der «damals im Lande politisch massgeblichen Gruppe, nämlich für die Liechtensteiner Notablen»21 - verankerten nationa- len Bewusstseins ist in mehrfacher Hinsicht eng mit der Person von Peter Kaiser verknüpft. Erstens legte er 1847 als Urvater der liechtensteinischen Ge- schichtsschreibung mit seinem Buch über die Ge- schichte des Fürstentums Liechtenstein den Grund- stein für ein Nationalbewusstsein.22 Nach Brunhart konnte er damit «gleichsam das Bewusstsein einer nationalen Identität projizieren, die auf einer ge- meinsamen Geschichte beruhte und das selbstbe- wusste Auftreten der Bevölkerung gegenüber der Landesherrschaft ermöglichte.»23 Zweitens for- mierte sich das Volk in dieser Zeit zusehends. Die Reise Peter Kaisers 1840 an den Hof nach Wien und 1848 in die Frankfurter Paulskirche wurde er- 9) Zum Schwabenkrieg bei Kaiser 1847; Nioderstätter 2000. Zu Uli Mariss v. a. Frick 1962. Zusammenfassend zum Schwabenkrieg in Liechtenstein und zu Uli iMariss Wanger 1999 (mit Verweis auf Kai- ser und Frick). 10) Vogt 1990, S. 134. Das Kontingent betrug vorerst 55 Mann. 1855 wurde das Kontingent auf 64 und 1862 auf 82 Mann erhöht. 111 Schmie! 1978, S. 97 ff. 12) Quaderer 1969. Zur Militärgeschichtc von 1814-1849 ausführ- lich Quaderer 1991. 13) Brunhan 1989, S. XV. 14) Ebenda, S. XV. Zur Biographie von Feter Kaiser vgl. generell Brunhart 1989. 15) Brunhart 1989. S. XV. 16) Langewiesche 1993. S. 49. 17) Ebenda, S. 51. 18) Kind 1905, S. 32: Brunhart 1989, S. XV. 19) Zit. nach Kind 1905, S. 33 f. 20) Press 1993, S. 63. 21) Ebenda, S. 63. 22) Kaiser 1847,- 1989. 23) Brunhart 1989. S. XXIX. 205
	        

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