Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2006) (105)

nell-monarchischen Alten Reiches geraten war.9 In- wiefern dies identitätsprägend gewirkt hat und in welche Richtung die Herzen politisch geschlagen haben, wissen wir nicht mit Sicherheit. Da die Schlacht jedoch auf Triesner Boden stattfand, wel- ches somit nicht geschont wurde, ist zu vermuten, dass die Bevölkerung des heutigen Liechtenstein dem Alten Reich anhing. Sicher gilt dies für die Brandisische Obrigkeit, die sich im Schwabenkrieg auf die Seite des Schwäbischen Bundes und der Kai- serlichen gestellt hatte. Schloss Vaduz wurde in den Auseinandersetzungen abgebrannt und geplündert, Ludwig von Brandis nach Luzern verschleppt und später erst gegen Lösegeld wieder freigesetzt. Die Untertanen von Schellenberg und Vaduz mussten im Schwäbischen Reichskreis des Alten Reiches ein Truppenkontingent stellen,10 und die Bevölkerung musste hinnehmen, dass ihre Dörfer geplündert und verwüstet wurden. Auch die Legende von Uli Mariss, der im Schwabenkrieg den Eidgenossen den Weg über Saroja nach Frastanz zeigte und damit als Verräter gilt, weist auf eine kaiserliche Gesinnung in der Bevölkerung hin. Auch während des Dreissigjährigen Krieges 1618 bis 1648 oder rund 150 Jahre später in den Napo- leonischen Wirren standen fremde Truppen auf dem Boden des heutigen Liechtenstein. Als was fühlten sich die Einwohner damals, wenn schwedi- sche oder französische Truppen marodierend durchs Land zogen? Mit wem solidarisierten sich die dama- ligen Bewohner? Wem lasteten sie die Schuld an? Entwickelte sich eine neue Identität, und wenn ja, in welche Richtung? Mit dem Ende des Alten Reiches erlangte 1806 das Reichsfürstentum Liechtenstein die nationale Souveränität. Dies war das Ergebnis der im Lande als «Franzosenkriege» erlebten Zeit des Siegeszu- ges Napoleons durch Europa und der damit einher- gehenden Zwangsgründung des Rheinbundes (1806- 1813). Die Erlangung der Souveränität an sich dürf- te die Bevölkerung allerdings nicht stark bewegt ha- ben. Staatsrechtlich war zwar die Souveränität an das Territorium des Staates Liechtenstein gebun- den,11 tatsächlich wurde jedoch die Aussenpolitik vom Fürstenhaus im weit entfernten Wien be-stimmt. 
Die Erlangung der Eigenstaatlichkeit war denn auch kein Werk einer selbstbewussten liech- tensteinischen Bevölkerung, sondern Ergebnis na- poleonischer Politik und glücklicher Diplomatie von Fürst Johann I. Der Übergang in eine spätabsolutistische Phase der Herrschaftsausübung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erscheint ebenso ungeeignet, eine positive nationale liechtensteinische Identität in der Bevölkerung zu wecken. Gleichzeitig war mit der Abschaffung der herkömmlichen Rechte (Lands- brauch) ein Identitätsmoment weggefallen. Änderte sich dadurch etwas? Wir müssen spekulieren. Auf- grund des Protestes gegen die Abschaffung von an- gestammten Volksrechten und auch dem nachfol- genden Widerstand und Missfallen gegenüber von oben angeordneten Modernisierungen (Bodenre- form, Bildungswesen u.a.) liegt die Vermutung nahe, dass weder die Staatsbezeichnung «Liechtenstein» noch der Staat und die staatliche Obrigkeit ein Iden- tifikationsmoment für die Bevölkerung darstellten. Es ist kaum vorstellbar, dass sich die Männer und Frauen damals als «Liechtensteiner» gefühlt und bezeichnet haben. Im Deutschen Bund (1815-1866) wurde Liech- tenstein ebenfalls Mitglied. Die Belastungen aus der Mitgliedschaft - insbesondere Abgaben und Kriegs- dienst - stiessen in der Bevölkerung allerdings auf Missfallen und Ablehnung, gelegentlich von Aufruhr begleitet.12 1840 reiste sogar eine dreiköpfige Dele- gation unter der Führung von Peter Kaiser «im Auf- trag der Liechtensteiner Bevölkerung» nach Wien, um verschiedene Anliegen, unter anderem eine bes- sere Vertretung des Volkes und eine Verminderung der Militärkontingentkosten, direkt dem Fürsten vorzutragen.13 Auch dies kann als Indiz dafür ge- nommen werden, dass keine starke Identifikation mit dem liechtensteinischen Staatswesen bestand, der Staat eher als Belastung und Fremdherrschaft empfunden wurde. Interessant ist hierbei die Entwicklung rund um das Jahr 1848. Im Vormärz und bei den in ganz Deutschland verbreiteten Aufständen 1848 war auch die Bevölkerung Liechtensteins involviert. Mit Peter Kaiser reiste ein vom Volk bzw. dem revolu- 204
	        

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