DIE EUROPÄISCHE INTEGRATION NIKOLAUS VON LIECHTENSTEIN de für ein kleines Land, dem Machtmittel zumeist fehlen, sind wirtschaftliche Gesundheit und ein or- dentlich geführter Haushalt für ein glaubwürdiges Auftreten wichtig. Auch kosten eigenständige Lö- sungen und die Vertretung der Souveränität nach aussen Geld. Es gilt zum Beispiel einen aussenpoliti- schen Apparat zu unterhalten, Beiträge zur inter- nationalen Zusammenarbeit zu erbringen und Öf- fentlichkeitsarbeit zu betreiben. Die dazu erforder- lichen Mittel können langfristig nur über eine gesunde Wirtschaft erbracht werden, welche wie- derum der notwendigen, vom Staat zu erbringenden Rahmenbedingungen bedarf. Diese Rahmenbedin- gungen hängen für eine so international ausgerich- tete Wirtschaft, wie die liechtensteinische, massgeb- lich von den vom Ausland festgelegten bzw. vertrag- lich vereinbarten Austauschbedingungen ab. Seit dem Beitritt zum EWR hat sich die liechtensteini- sche Wirtschaft positiv entwickelt und nicht zuletzt wurde eine Diversifizierung im Bereich der Finanz- dienstleistungen begünstigt.16 Dies wiederum hat den Staat und nicht zuletzt seine Finanzmittel ge- stärkt, was, wie gesagt, souveränitätspolitisch von einiger Bedeutung ist. Eng mit diesen wirtschaftlichen Aspekten der Souveränität ist der durch das Abkommen gegebene Zwang zu eigenständigen Lösungen verbunden: Der im Grossen und Ganzen doch sehr liberale Binnen- markt der EU verlangte von den liechtensteinischen Wirtschaftstreibenden, sich dem schärferen Wind des Wettbewerbs in zuvor geschützten Wirtschafts- bereichen zu stellen. Auch der Staat musste plötz- lich in Bereichen aktiv werden, um die er sich zuvor nicht gekümmert hat. Als Beispiel sei die eigene Ver- sicherungsgesetzgebung genannt, die Liechtenstein einem bisher unterentwickelten Sektor der Finanz- dienstleitungen eröffnete. Das EWR-Abkommen war aber nicht nur aus wirtschaftspolitischer Perspektive ein Souveräni- tätsgewinn. Vor allem aussenpolitisch hat Liechten- stein sich damit stärker positioniert. Vor Abschluss des EWR-Abkommens hatte Liechtenstein kaum Be- ziehungen zur EU, dem in gewisser Beziehung be- deutendsten Macht- und Wirtschaftsfaktor in Euro- pa. Das EWR-Abkommen war das umfassendste As-soziationsabkommen,
dass die EU mit einem Staat bzw. einer Staatengruppe abgeschlossen hat. AJJei- ne dieser schlagartige Ausbau der Zusammenarbeit mit der Europäischen Union und ihren vielen Mit- gliedsländern ist ein unschätzbares Plus an aussen- politischer Manövrierfähigkeit, trotz der gleichzeitig eingegangenen vielfältigen Verpflichtungen gegen- über diesem Riesenpartner. Der aussenpolitische Prestigegewinn in Europa ist auch auf folgendem Hintergrund zu sehen: Liechtenstein hatte sich in den Jahrzehnten vor dem EWR Beitritt, sieht man von einigen Mitgliedschaften in internationalen Or- ganisationen ab, aussenpolitisch überwiegend auf die Schweiz ausgerichtet, wie sich dies bereits aus den Vertragsbeziehungen ersehen lässt.17 Obwohl die Souveränität Liechtensteins nicht angezweifelt wurde, wurde man öfters von ausländischen Ge- sprächspartnern gefragt, ob Liechtenstein sich nicht mit der Zeit ganz in die Schweiz integrieren würde mit dem faktisch damit einhergehenden Souveräni- tätsverlust. Der EWR-Beitritt hat die Fähigkeit Liech- tensteins zum Beschreiten eigener Wege und zu ei- ner multipolaren Aussenpolitik unter Beweis ge- stellt, bei gleichzeitigem Erhalt der freundnachbar- lichen Beziehungen zur Schweiz. Verstärkt hat das EWR-Abkommen auch die Zu- sammenarbeit mit dem zweiten Nachbarland Liech- tensteins, Österreich. Durch die weitgehende Teil- 13) Über die politischen Diskussionen vor der EWR-Abstimmung vom 13. Dezember 1992 und über deren Ausgang sei auf die um- fangreiche Berichterstattung in den beiden Landeszeitungen wäh- rend diesen Wochen verwiesen (Liechtensteiner Volksblatt, Liechten- steiner Vaterland). 14) Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürsten- tums Liechtenstein betreffend die Teilnahme des Fürstentums Liech- tenstein am Europäischen Wirtschaftsraum (Nr. 1/1995). 15) Siehe dazu die beiden Berichte und Anträge der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein betreffend fünf Jahre bzw. zehn Jahre Mitgliedschaft des Fürstentums Liechtenstein im Europäischen Wirtschaftsraum (Nr. 42/2000 und Nr. 102/2005). 16) Siehe Bericht über 10 Jahre EWR Mitgliedschaft gemäss Fuss- note 15 sowie Statistisches Jahrbuch, Fürstentum Liechtenstein, Jahrgang 2004. Hrsg. Amt für Volkswirtschaft. 17) Systematische Sammlung der liechtensteinischen Rechtsvor- schriften, Band 0.1 und folgende. 161