Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2006) (105)

chen Krönung (962-1452), die vielfach die Rhein- talroute über den Septimer nutzten und Vaduz Durchritte des Reichsoberhaupts samt Gefolgschaft bescherten. Die Rheintalroute galt wie alle wichti- gen Wasser- und Landfernverkehrswege als Reichs- strasse. Etwa wurde sie 1392 als solche ausgewie- sen, als das Vaduzer Gericht unter freiem Himmel an «offener Reichsstrasse» tagte.4 Spürbar war die Reichspräsenz aber auch bei der sonstigen Routen- wahl eines mobilen Reiseherrschers, der viele Jah- re ausserhalb seiner Hauptresidenz verbrachte. Er musste zu seinem (Adels-) Volk kommen, nicht letz- teres zu ihm. So unternahm der jeweilige Kaiser Krönungsumritte, sammelte dabei die Huldigungen der Lokal- und Regionalherrscher ein und bestätig- te deren Privilegien. Er hielt regionale Hoftage mit den jeweiligen Grossen ab und zog bei dieser Gele- genheit durch das Evokationsrecht Rechtsstreitig- keiten als oberster Richter an sich. Die für den Liechtensteiner Raum relevanten Hoftage fanden überwiegend in Konstanz statt. Die Beziehungen von Vaduz und Schellenberg zur Zentralebene des Reiches wurden vom Status der Reichsunmittelbarkeit geprägt. Diese Figur um- schrieb die staatsrechtliche Stellung eines lokalen Herrschaftsträgers, der dem Kaiser ohne Zwischen- instanzen unterstand. Davon abzugrenzen war die landsässige, reichsmittelbare Herrschaft. Im Falle der Grafschaft Vaduz wurde die Reichsunmittelbar- keit in einer Königsurkunde Wenzels von 1379 als bestehend vorausgesetzt. 1396 erklärte dasselbe Reichsoberhaupt Vaduz explizit zum reichsunmit- telbaren Lehen, was seine Nachfolger fortlaufend bestätigten, so etwa 1430, 1439, 1454 und 1507. Seit 1430 wurde die dynastisch mit Vaduz verklam- merte Herrschaft Schellenberg miterwähnt.5 Die Reichsunmittelbarkeit von Vaduz und Schellenberg fügte sich in das Gesamtbild der südwestdeutschen Verfassungslandschaft, wo infolge des Erlöschens des Herzogtums Schwaben mit dem Ableben des letzten Staufers Konradin im Jahre 1268 zahlrei- che lokale Herrschaften reichsunmittelbar waren, während vergleichbare Gebilde im Osten des Rei- ches, etwa die älteren Herrschaften des Hauses Liechtenstein in den habsburgischen Erblanden, an-gesichts 
der dort ungebrochen fortbestehenden Herzogsgewalten einen landsässigen Status beibe- hielten. Im vertikalen Stufenbau des Reiches gab es eine Unterscheidung zwischen Hoheitsrechten, die der originären lokalen Gerichtsbarkeit anhafteten, so- wie solchen, die der kaiserlichen Autorität entflos- sen (Regale). Letztere wurden vom Imperium defi- niert, aber grundsätzlich nicht direkt ausgeübt, sondern in der Fläche durch die Herrschaftstech- nik des Privilegs, d.h. mittels Delegation auf die lo- kalen Herrschaftsträger, anwendbar gemacht.6 Da- runter fielen die Blutgerichtsbarkeit, das Markt- recht, das Münzrecht, das Zollrecht, das Geleit- recht, das Stapelrecht, das Berg(bau)recht, das Ju- den(schutz)regal sowie Gerichtsfreiheits- und Steu- erprivilegien, was u.a. bedeutete, dass die Voll- streckung von Todesurteilen, also der schwerste denkbare staatliche Eingriff, reichsweit im Namen des Kaisers ausgeübt wurde. Im Heiligen Römi- schen Reich erreichte der Delegationsprozess pa- rallel zur Dynamik des hochmittelalterlichen Lan- desausbaus seinen Scheitelpunkt und war um 1500 weitgehend abgeschlossen. Die reichsunmittelbare Grafschaft Vaduz erhielt 1379 von König Wenzel ein Privileg mit Gerichtsfreiheiten und dem Asyl- recht. 1430 vergab König Sigismund an den Vadu- zer Grafen Wolfhart von Brandis ein umfangreiche- res Privileg, das die Blutgerichtsbarkeit mit der To- desstrafbefugnis umschloss. Ferner verlieh es als Ausfluss der kaiserlichen Gewalt über die Reichs- strassen das Zollrecht, das keineswegs nur berech- tigte, sondern im Gegenzug auch einen Pflichten- aspekt beinhaltete, nämlich die Strassenbaulast auf der ökonomisch und politisch wichtigen Alpentran- sitroute durch das Rheintal.7 Zu den Brandisischen Freiheiten kam 1592 aus der Hand Kaiser Ru- dolfs II. das Marktrechtsprivileg hinzu. Bis 1715 bestätigte der jeweils neu gewählte Kaiser die va- duzisch-schellenbergischen Reichsprivilegien gegen Gebühr, wobei im Verhältnis zum Erteilenden des- sen Überordnung, bezüglich des Begünstigten des- sen Unterwerfung klargestellt wurde. Erst im 18. Jahrhundert machte eine abstraktere Staatsvor- stellung der Dauergeltung von Privilegienrecht die- 10
	        

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