Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2005) (104)

BRANDBESTATTUNGEN AUS DER EISENZEIT VOM «RUNDA BÖCHEL» IN BALZERS / MARIANNE LÖRCHER die Gemeinschaft, in welcher der Verstorbene lebte, sich innerlich bereits lange vor seinem Tode von ihm verabschiedet haben. Es geht darüber hinaus darum, sich als Hin- terbliebene in der neuen Lebenssituation wieder zu- recht zu finden. Gedenktage können das Zurecht- kommen mit der neuen Situation unterstützen. Bei- spiele dafür sind der Allerseelen-Tag im christlichen Brauchtum, die Gebeine-Umbettungsrituale, wie sie auf Madagaskar gefeiert werden, oder andere Ri- tuale zur Verehrung der Toten in verschiedensten Kulturen, individuelle Rituale, je nach religiösen Vorstellungen der Gesellschaft, der Familie oder von Einzelpersonen. Etwas oder jemanden loslassen können bedeutet auch, dass im Voraus eine Integration gewisser An- teile des «Verlorengegangenen» oder des «Loszu- lassenden» oder gar des Ganzen stattgefunden hat. Es kann aber auch symbolisch den Tod einer eige- nen Seite bedeuten, wie im Traum beispielsweise, welche ich erkannt habe und die mir nun bewusst geworden ist. Die Hinterbliebenen haben so die Möglichkeit, Fähigkeiten und Erfahrungen, Eigenheiten, Tugen- den und Untugenden des /der Verstorbenen zu be- trachten, bei sich selber bewusst zu machen, aufzu- nehmen, zu assimilieren, zu eliminieren, zu verdau- en und in Substanzen zum eigenen Wachstum zu verwandeln. (So kann Kanibalismus oder «pars pro toto» verstanden werden, was jedoch eher der Inte- gration auf materieller Ebene entspricht.) Mit der Integration geht immer auch eine Befrei- ung einher, indem eine neue Art von Beziehung zum Losgelassenen möglich wird. Auch eine andere Auf- gabe kann erst als erledigt betrachtet werden, eben aufgegeben und losgelassen werden, wenn die Not- wendigen Anteile davon integriert worden sind. Dies führt dann unweigerlich zu einer Bewusst- seinsveränderung. In diesem Sinne könnten die Zeugnisse unserer Vorfahren (Gräber mit den Beigaben, andere kultu- relle Reste) auch als ein Abbild oder als Symbol des Bewusstseinszustandes des damaligen Menschen verstanden werden. 
Von einem Verstorbenen werden in erster Linie nicht-materielle Werte bewusst gemacht, denn vom äusseren, materiellen Erscheinungsbild kann nur wenig integriert werden. Gegenstände können die Integration bestimmter Eigenheiten des Verstorbenen jedoch unterstützen oder sichtbar machen (Kleidung, Waffen, Schmuck). Gegenstände, welche dem Verstorbenen ins Grab mitgegeben werden, können für den Verstorbenen wichtig und nützlich sein (Religionsvorstellungen) oder aber auch bedeuten, dass die Hinterbliebenen diese Dinge symbolisch auch loslassen konnten oder mussten. Die physikalischen und chemischen Zersetzungs- prozesse der Toten prägen ebenfalls die verschiede- nen Bestattungsformen: bei Erdbestattungen sind die Elemente Erde, Wasser und Luft beteiligt; der Vorgang geschieht unsichtbar und kann Jahre, manchmal Jahrzehnte oder noch länger dauern. Er hinterlässt in der Regel grössere anorganische und teilweise auch noch organische Reste (zum Beispiel ganze Skelette, Mumien). Bei Feuerbestattungen geschieht die Verwand- lung innert Stunden durch Feuer und Luft, der Pro- zess ist sichtbar. Es bleiben relativ kleine Reste und vorwiegend anorganische Anteile vom Organismus zurück. Die beiden Bestattungsformen unterscheiden sich also in folgenden Punkten: - es sind jedesmal andere Elemente am Verwand- lungsprozess beteiligt: einerseits Erde, Wasser und Luft, andererseits Feuer und Luft. - von aussen gesehen spielt der Zeitfaktor eine Rol- le. Ob das im Erleben in den entsprechenden Kul- turen relevant war, wissen wir nicht. - die Zersetzung bei Erdbestattungen läuft unsicht- bar ab (Introversion), bei Brandbestattungen war sie damals sichtbar (Extroversion). 64} Simek, 1984, S. 137. 65) Nievergelt et al. 1989. 66) Stöckli et al. 1988. 213
	        

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