Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2005) (104)

Persönliche Interpretation Bestattungen sind neben anderen kulturellen Re- sten die bedeutendsten archäologischen Quellenob- jekte, um die Gedankenwelt des urgeschichtlichen Menschen zu erschliessen. Um dieses Ritual zu ver- stehen gilt es, verschiedene Aspekte zu berücksich- tigen: «Die Vorstellung vom Weiterleben nach dem Tode, die Verehrung der Toten durch die Lebenden, der Schutz der Lebenden vor den Toten, die soziale Struktur der Gemeinschaft und nicht zuletzt die Stellung des Toten».64 Anthropologische Berichte über Bestattungen zu schreiben bedeutet, sich grundsätzlich über das Be- stattungswesen - den Tod - und hier bei Brandbe- stattungen, im Speziellen über den Brauch des Ver- brennens von Verstorbenen auseinander zu setzen. Die Bestattung ist ein Ritual, welches der Mensch schon seit langer Zeit praktiziert, wobei die ver- schiedenen Kulte teilweise im Laufe der Zeit einen Bedeutungswandel durchgemacht haben - teilweise sind sie wohl aber auch unverändert übernommen worden: «Die Sitte der Totenbestattung, bei welcher der Leichnam durch Feuer in Asche verwandelt wird, ist uralt. Der früheste Beleg stammt aus dem 7. Jahrtausend, vor Christus in Anatolien. In der Urzeit des Christentums galten Erd- und Feuerbestattun- gen als gleichberechtigt. Erst später bekundeten die christlichen Kirchen Mühe mit der Feuerbestattung, weil offenbar ihre Propagierung mit antichristli- chen Vorstellungen verbunden war. Im Jahr 785 verfügte Karl der Grosse die Beerdigung in Friedhö- fen als einzige legale Bestattungsart. Im Mittelalter führten die Hexenverbrennungen zu einer gefühls- mässigen Ablehnung der Feuerbestattung. Wohl mit der Aufklärung erwachte im 18. Jahrhundert das Interesse an der Leichenverbrennung wieder neu. Sie war allerdings nach wie vor nur auf einem Holz- stoss möglich und wurde daher als ästhetisch wenig befriedigend empfunden. Die Ärztekongresse von 1869 in Rom und von 1871 in Florenz empfahlen aus hygienischen Gründen die Feuerbestattung in der Form einer vollständigen Verbrennung in einem geschlossenen Raum. Bereits 1873 erlaubte der ita- lienische Senat die Feuerbestattung als fakultative 
Be stattung sart. Eine mutige Tat des jungen Staats- wesens. Im letzten Vierteides 19. Jahrhunderts ver- einigten sich offenbar neue chemisch-physikalische Erkenntnisse - gepaart mit dem unerschütterlichen Glauben an den Fortschritt - und die Angst vor überbelegten Friedhöfen, bedingt durch die Bevöl- kerungsexplosion des 19. Jahrhunderts: nun sollte ein Apparat auch noch das Problem der Bestattung endgültig und hygienisch lösen. »65 «Die Feuerbestattung kommt der Vorstellung von der Wiederverkörperung der Seele in einem neuen Leib entgegen; sie ist jedoch dann ausgeschlossen, wenn die körperhafte Existenz im Jenseits erhalten bleiben soll».66 Die Hinterbliebenen setzen sich beim Bestattungsri- tual mit dem Leben und Ableben von ihnen naheste- henden Mitmenschen auseinander, vielleicht sogar von Mitmenschen, zu denen sie nur eine sehr lose Beziehung hatten (z.B. Kriegsgefallene, Opfer von Seuchen, Gewalt und anderen Unglücksfällen). Sie werden dabei unmittelbar auch mit ihrer eigenen Endlichkeit konfrontiert. Sie können aber auch den Kontakt mit den Toten anstreben, um von den Ah- nen durch Verehrung und Opfer Hilfe und Beistand zu erhalten. Die Hinterbliebenen erhalten so die Möglichkeit, in ganz verschiedener Weise, qualitativ und quantitativ ebenfalls an der Ewigkeit teilhaftig zu sein. Der bestattende Hinterbliebene befasst sich ei- nerseits mit dem physischen Tod (auf materieller Ebene), andererseits vielleicht auch mit dem psychi- schen Tod (auf immaterieller Ebene). Es geht um den Umgang mit verschiedenen Zuständen des Or- ganismus (lebend - tot) und um die Veränderungen, welche darum herum geschehen, wenn diese Zu- stände sich ändern. Nicht immer gelingt es, die verschiedenen Verar- beitungsebenen gleichzeitig anzugehen. Oft muss vom materiellen Teil zuerst Abschied genommen werden, in erster Linie aus sanitarischen Gründen (Seuchengefahr), und erst in späteren Schritten - wenn überhaupt - wird der innere, unsichtbare, ge- fühlsmässige Abschied vollzogen werden. Denkbar ist zudem, dass die Angehörigen, und vielleicht auch 212
	        

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