Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2005) (104)

ZENSUR IM GEBIET DES HEUTIGEN FÜRSTENTUMS LIECHTENSTEIN / WILFRIED MARXER Zensur im Wandel der Zeit ZENSUR IM ALTERTUM UND MITTELALTER Zensur ist in verschiedenen Formen ein ständiger Begleiter der Menschheit gewesen. Es ist leicht vor- stellbar, dass schon in vorhistorischer Zeit gesell- schaftliche und religiöse Tabus galten und insofern auch gesellschaftlicher Druck und Zensur ausgeübt wurde. Überliefert sind Zensurmassnahmen seit dem Altertum.6 411 vor Christus wurde im eigent- lich relativ freiheitlichen Griechenland die öffent- liche Verbrennung von Protagoras richterlich an- geordnet, da er Zweifel an der Existenz der Götter äusserte. Sokrates bezahlte 399 vor Christus die Weigerung, wegen seiner jugendgefährdenden Frei- denkerlehre in die Verbannung zu gehen, mit dem Leben. Zensur fand schon damals Unterstützung wie auch Ablehnung. Plato, ein Anhänger von Zen- sur und Verbot als Massnahme zur Förderung des friedlichen Lebens, und Aristoteles, welcher dieser Position als Verfechter der freien Meinungsäusse- rung seine Katharsistheorie entgegenstellte, lagen in ihrer Bewertung von Zensur weit auseinander. Zensur gab es in allen Kulturen. Kaiser Chi Huang Ti, der erste Herrscher der Ts'in-Dynastie in China, liess um 250 vor Christus die Analekten des Konfu- zius zerstören und alle greifbaren Bücher verbren- nen, die sich mit der Lehre des Konfuzius beschäf- tigten.7 Der Begriff <Zensur> geht auf die Einführung der römischen <censores> zurück, die 366 vor Christus als unabhängige Institution eingeführt wurden.8 Zunächst waren sie nur mit der Vermögensschät- zung betraut, fungierten aber bald auch als Sitten- gerichtsbarkeit. Beispiele von Zensur in der römi- schen Republik sind etwa die Vernichtung der sibyl- linischen Schriften oder die Verbrennung unliebsa- mer Schriften griechischer Philosophen oder von Schmähschriften (<libelli famosh). Ovids erotische Dichtung wurde aus den öffentlichen Bibliotheken verbannt.9 Die frühchristliche, vor allem liturgische Literatur, wurde aufgrund des Diokletian-Edikts von 303 nach Christus verbrannt, die Christen wurden verfolgt.10 Als Teil der römischen Provinz Churrätien (15 v. Chr. bis ins 5. Jahrhundert n. Chr.) war das spätere 
Liechtenstein der römischen Gesetzgebung unter- stellt. 313 nach Christus wurde das Christentum durch Kaiser Konstantin zur Staatsreligion erklärt, und konkurrenzierendes Schriftgut wurde nun- mehrverboten und vernichtet." In Churrätien setz- te die Christianisierung im Übergang vom 4. zum 5. Jahrhundert ein.'2 Chur war Bischofssitz und Hauptort des Christentums in Churrätien mit Ver- bindungen nach Mailand. Mit Asinio ist 451 erst- mals ein Churer Bischof belegt.|:! Die Christianisie- rung Rätiens verlief allerdings mit Rückschlägen und Verzögerungen, insbesondere im nördlichen Grenzraum vom Bodensee bis zur Linthebene. Heidnische Kulte und Praktiken übten grosse An- ziehungskraft auf, christliche Romanen und heidni- sche Germanen lebten nebeneinander, wobei der Einbruch des germanischen Heidentums von Nor- den her die Christianisierung gefährdete und teil- weise das Christentum vorübergehend ganz ver- drängte.14 In der «Geschichte des Fürstenthums Liechten- stein» schreibt Peter Kaiser über diese Zeit: «Gros- sen Gefahren waren die Bekenner Christi ausge- 6) Vgl. zum Folgenden Seim 1997. S. 92 IT. 7) Zur Modiengcschichtc von den Anl'iingen bis zur Spätantike vgl. Faulstich 1996a. 8) Zum Folgenden vgl. Jones 2001; Seim 1997. Die vierbändige En- zyklopädie des Herausgebers Derek Jones enthält auf knapp 3000 Seiten eine Vielzahl von Einträgen verschiedener Autoron. In diesem Beitrag werden sie nicht mit dem Namen der jeweiligen Autoren, son- dern einheitlich unter dem Namen des Herausgebers (Jones) zitiert. 9) Zur Zensur in Bibliotheken vgl. Jones 2001. S. 1416-1424. 10) Vgl. Jones S. 516 f. 11) Ebenda. S. 515-518. 12) Kaiser 1989, S. 69 ff. 13) Kaiser 1989, S. 75. Er war aber vermutlich nicht der erste Bi- schof. Vgl. ebenda, S. 96. Peter Kaiser erwähnt den III. Luzius als ersten Bischof von Chur. dem um 189 die Märtyrer-Krone zuteil ge- worden sein soll (ebenda. S. 21). Nach Albert Fischer lebte Luzius allerdings im 6. Jahrhundert und wirkte als Glaubensbote in der Uni- gebung von Chur, «später hinzugekommene Attribute wie Märty- rern <(crster) Bischof von Chur> oder <König> ... beruhen auf Falsch- interprelationen bzw. auf legendären Quellen.» Information des Bis- tums Chur unter www.bistum-chur.ch (Zugriff am 19. Januar 2005). 14) Vgl. Kaiser 1989, S. 80-84. 141
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.