Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2004) (103)

ZUR ERSTVERÖFFENTLICHUNG DES ROSENBAUM- PLÄDOYERS / WLADIMIR ROSENBAUM Herr Präsident, meine Herren Richter! Das ist Fritz Rotter! Meine Herren Angeklagten! Das ist ein Jude! Wol- len Sie nicht so ehrlich sein, den abgrundtiefen Un- terschied zuzugestehen, zwischen dem Bild, das Sie sich von dem/49Juden machen und der Wirklich- keit? Ich weiss nur ein Beispiel aus der Menschheits- geschichte, das gleich erschütternd ist: es ist der Brief, den die Mutter eines ermordeten, zärtlich ge- liebten Sohns an die Mutter eines der Mörder richte- te: Frau Rathenau schreibt nach jenem unseligen 24. Juni 1922 an Frau Techow: «Im namenlosen Schmerze reiche ich Ihnen, Sie ärmste aller Frauen, die Hand. Sagen Sie Ihrem Sohne, dass ich im Na- men und Geist des Ermordeten ihm verzeihe, wie Gott ihm verzeihen möge, wenn er vor der irdischen Gerechtigkeit ein volles offenes Bekenntnis ablegt und vor der göttlichen bereut. Hätte er meinen Sohn gekannt, den edelsten Menschen, den die Erde trug, so hätte er eher die Mordwaffe auf sich selbst ge- richtet, als auf ihn. Mögen diese Worte Ihrer Seele Frieden geben. Mathilde Rathenau.» Das ist der Brief einer Jüdin an die Mutter eines Menschen, der aus Judenhass an ihrem Sohne zum Mörder geworden ist! Verstehen Sie nun, warum wir, der Privatbeteiligte und ich, mit uns aber auch Millionen Menschen in der ganzen Kulturwelt, stolz daraufsind, Juden zu sein? An diesem Gefühl kön- nen Verfolgungen, Verdächtigungen und auch die furchtbarsten Erniedrigungen niemals etwas än- dern. Als Beispiel für eine solche niedrige Verun- glimpfung möchte ich hier ein widerliches und ver- logenes Machwerk, eine im nationalsozialistischen Parteiverlag erschienene Broschüre nennen, in der zahlreiche Juden verzerrt geschildert und mit dem Zusatz: «ungehängt» versehen sind - eine offenkun- dige Aufreizung, auch diese Männer zu «richten», wie es bei Ermordeten/50 durch den Zusatz «gerich- tet» als geschehen mitgeteilt wird. Zu den auf diese Weise verfemten Leuten gehören ausser den inzwi- schen wirklich «gerichteten» Rotters, bei denen noch der Zusatz «gerichtet» steht, u. a. die Beamten 
Staatssekretär Dr. Weismann, Vizepräsident Dr. Weiss, der Abgeordnete und frühere Minister Dr. Hilferding, die Professoren Einstein, Bonn und Gumbel, die Schriftsteller Emil Ludwig und Lion Feuchtwanger u. a. m. Demgegenüber sind die deutschen Juden, wie ich weiss, mit Recht von Stolz erfüllt durch die unsterb- lichen Leistungen, die gerade sie für die deutsche Kultur hervorgebracht und dadurch den deutschen Namen in aller Welt gehoben haben. In dieser Hin- sicht erwähne ich statt unzähliger Leistungen, um jeden Streit der Meinungen auszuschliessen, nur diejenigen, die auf Grund sorgfältigster Prüfung von einem eigens dazu geschaffenen, von der ganzen Welt anerkannten Gremium ausgezeichnet worden sind: nämlich die 8 jüdischen deutschen Gelehrten, die sich unter den insgesamt 44 deutschen Nobel- preisträgern befinden. Das bedeutet, dass die Juden unter den Gelehrten höchsten Grades um zwanzig Mal mehr vertreten sind als es ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung entsprechen würde. Und diese ganze geistige Elite ist für die Zukunft von der Teil- nahme an deutscher Geistesarbeit ausgeschlossen, darüber hinaus aber auch der riesengrosse Kreis derjenigen, die selbst nur einen Tropfen jüdischen Blutes in ihren Adern haben. Ganz beiläufig erwäh- ne /5' ich dabei, dass damit ein grosser Teil des deut- schen Adels aus der Volksgemeinschaft ausge- schlossen ist, u. a. der jetzige Fürst Bismarck, der bekannterweise mütterlicherseits jüdisches Blut in sich trägt. Angesichts solcher Gedanken, Tatsachen und Perspektiven kennen alle Kulturvölker, die Deutschland in ihrer Reihe auf die Dauer nicht mis- sen wollen, nur den dringenden Wunsch haben, dass Deutschland endlich erwachen möge! Heute sagt voll Stolz der Propagator des neuen Regimes, Herr Reichsminister Dr. Goebbels: «Das Zeitalter der Humanität ist zu Ende!» Und die grosse Masse der Nachläufer jubelt ihm nicht nur zu, son- dern beweist durch Schreckenstaten die Richtigkeit des von oben verkündeten Grundsatzes. «Ausrot- ten», «Vernichten» - das sind die immer wiederkeh- renden Mahnungen und Weisungen in den Reden der Führer. Diese Tendenzen treten aber noch weit stärker in die Erscheinung; es werden nicht nur die 89
	        

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