Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2004) (103)

ZUR ERSTVERÖFFENTLICHUNG DES ROSENBAUM- PLÄDOYERS / WLADIMIR ROSENBAUM Deutschland ansässigen Juden den furchtbarsten Verfolgungen, und zwar nicht nur dem Boykott und der Vernichtung ihrer wirtschaftlichen Existenz, sondern auch der persönlichen Verfolgung und der Gefährdung des Lebens ausgesetzt sind - ich könnte ihnen authentische Fälle erschütterndster Art unter Nennung von Namen und Ort beibringen - sind die Ostjuden 
Gegenstand be-/34sonderen Schutzes und grösster Fürsorge der Behörden: wo es gleichwohl zu Angriffen und Schädigungen gekommen ist, hat man ihnen in liberalster Weise Ersatz geleistet. Jetzt scheinen weiter, wie die Verhandlungen vor dem Völkerbund zeigen, die Juden in Deutsch-Ober- schlesien Sondervergünstigung zu erhalten, ge- genüber denen im deutschen Westen, die zum Teil seit einem Jahrtausend dort sitzen. Wie dem auch sein möge: die drei Rotters gehörten nun einmal lei- der nicht zu der Kategorie der Ostjuden. Ich habe Ihnen berichtet, dass die beiden Brüder Juristen und Beamte geworden waren. Ihre eigentli- che Liebe gehörte schon seit der Schülerzeit der Kunst und vor allem dem Theater. Beide riefen als junge Studenten der Berliner Universität gemein- sam mit gleichgesinnten Kommilitonen den literari- schen Verein «Akademie Bühne an der Universität Berlin» ins Leben. Professor Erich Schmidt, der be- kannte Goetheforscher und damals Ordinarius für Germanistik, im folgenden Jahre Rektor der Univer- sität, unterstützte und förderte mit besonderer An- teilnahme die Pläne der kunstbegeisterten und be- gabten Studenten. Er wurde literarischer Beirat der Akademischen Bühne und machte die beiden jun- gen Studenten durch wertvolle Empfehlungen mit führenden Bühnenleitern, in erster Linie mit seinem Freund, Dr. Otto Brahm, dem bedeutendsten Thea- terdirektor Berlins in jener Zeit, bekannt. Eine Rei- he bedeutsamer Gönner wurde gewonnen, unter diesen die berühmten Professoren Kohler und /'5List, Bier und His, ferner Dr. Reike, Bürgermeister der Stadt Berlin, namhafte Schriftsteller, und viele ande- re bedeutende Männer des Vorkriegs-Berlin. Bei diesem Hervortreten abseits der streng bürgerli- chen Familientradition und der beabsichtigten ju- ristischen Laufbahn nahmen die Brüder an Stelle ihres Familiennamens Schaie, entsprechend der in 
solchen Fällen bestehenden Übung, den Künst- lernamen Rotter an, unter dem sie bald nach ihren ersten sensationellen Erfolgen Weltberühmtheit erlangten. Einige Zeitungsartikel vom Anfang die- ses Jahres, als schon die Hetze gegen sie im Gange war, schildern die Tatsachen durchaus richtig. Das «Neue Wiener Journal» schreibt am 21. Janu- ar 1933: «Wer sind denn diese Rotters, deren Namen mit den grössten Theatererfolgen der letzten Jahre, mit den Serienaufführungen der Lehar, Kaiman, Abra- ham, mit dem fantastischen Aufstieg von Richard Tauber, Gitta Alpar und Käthe Dorsch untrennbar verbunden bleiben? Als sie das erste Mal die Nase in Theaterdinge steckten, waren sie beide Studenten, Söhne eines wohlhabenden Vaters, der ihre Thea- terleidenschaft milde belächelte und - mit Geld un- terstützte. Damals gab es eben noch Mäzene. Aber die beiden Jungen dachten beileibe nicht ans Ge- schäft, wozu sie eigentlich nach dem Ruf, den man ihnen später machte, verpflichtet gewesen wären. Sie hingen der hohen Literatur an. Sie spielten zu- erst Wedekind und wenn sie sich bei Otto Brahm melden liessen, um sein Theater für einen literari- schen Nachmittag zu mieten, sagte Brahm gewöhn- lich: «Da kommen die Herren in Sachen Strind- berg». Die Wiener «Neue Freie Presse» vom 28. Jan. 1933 schreibt: «... Zwei Eigenschaften: eine uner- sättliche, ins Detail eindringende Liebe zum Theater und einen richtigen Flair für den Geschmack ihres Publikums. Die Theaterbesessenheit sprechen ih- nen auch ihre Feinde nicht ab. Sie hatten das Mal- heur, I36diese Besessenheit an eine an Ideen und Idealen verarmende Theaterepoche verschwenden zu müssen. War es denn eine so grosse Kunst, ein Otto Brahm zu werden. Wenn daneben gerade Ib- sen, Björnson, Hauptmann, Sudermann, Wedekind, Schnitzler heranwuchsen? Die Rotters sind keines- wegs dichterfeindlich. Sie haben als Vorkämpfer Strindbergs ihre Theaterkarriere begonnen, es hat ihnen einmal gefallen, Schnitzlers «Weites Land» zu 200 Ensuitaufführungen zu treiben, sie würden so- fort eine Billinger-Bühne errichten, wenn sie sich davon einen Erfolg versprächen». 83
	        

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