Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2004) (103)

ZUR ERSTVERÖFFENTLICHUNG DES ROSENBAUM- PLÄDOYERS / NORBERT HAAS Haftbefehl gegen die Brüder sowie gegen Gertrud Rotter. Man muss sich diese Daten vor Augen halten, um einschätzen zu können, was es heisst, wenn Franz R. aus Vaduz am 5. Februar fernmündlich bei der Schutzmannschaft Lindau zur Anzeige bringt, dass sich die Familie Rotter in Liechtenstein aufhält. Und wenn einen Tag darauf, am 6. Februar ein Herr Dr. Heinrich Kuntze aus Eschen, Teilhaber der Vadu- zer Anwaltskanzlei Dr. Beck, Dr. Ritter und Dr. Kunt- ze, persönlich beim Generalstaatsanwalt in Berlin vorstellig5 wird, ebenfalls um den Aufenthaltsort der Familie Rotter zu melden. Beide Denunziationen erscheinen wie aufeinan- der abgestimmt. Was ihre Motive im Einzelnen wa- ren, könnte nur eine eingehende Studie aufzeigen. Was wollte Dr. Kuntze mit seinem Erscheinen vor dem Generalstaatsanwalt? Hatte er sich mit seinen Kompagnons darüber verständigt? Die Vaduzer Rechtsanwaltskanzlei Beck/Ritter/Kuntze sah sich in Konkurenz zur Kanzlei von Dr. Ludwig Marxer; der Dauerzwist der politischen Parteien spielte da her- ein. Das dürfte aber kaum als Erklärung hinreichen für den Schritt des Dr. Kuntze. War auch die Kanzlei Beck/Ritter/Kuntze eine der Brennkammern für die Brandsätze liechtensteinischer Judenfeindlichkeit, die am 5. April 1933 und in seiner Folge gezündet wurden? Für einen Nachweis müssten gründliche Untersuchungen6 der gesellschaftlichen und kultu- rellen Verhältnisse im Land unternommen werden. Solche Untersuchungen sind bisher nicht in hinrei- chender Weise erfolgt. «JENER FURCHTBARE 5. APRIL» Es scheint, dass solche Unterlassung systematischen Charakter hat und sich möglicherweise im Begriff der Verdrängung fassen lässt. Unter dem Titel « <jener furchbare 5. aprih [die Wendung ist ein Zitat aus dem Plädoyer Wladimir Rosenbaums]: die rotter<affäre>: ein liechtensteinisches pogrom : spuren einer Ver- drängung: 1933, 2003» fanden am 4., 5. und 6. April des Jahres 2003 mehrere Veranstaltungen im Lite- raturhaus Liechtenstein statt. Aus diesem Anlass ent- standen drei kleine Texte,7 in denen es einleitend 
heisst: «In den wenigen Darstellungen, die es bis heu- te gibt, liest es sich wie das Protokoll einer Räuberge- schichte. Volksmund und Wissenschaft nennen es mit demselben Wort: die <Rotteraffäre>. Doch wenn das, was unter dem Datum des 5. April 1933 und in seiner Folge im Land Liechtenstein geschehen ist, eine Affäre gewesen sein soll, wenn es bis heute als Affäre gelten kann, wird, wer sich dem schrecklichen Geschehnis wirklich zuwenden möchte, es mit nichts anderem zu tun bekommen als mit einer nun siebzig Jahre währenden Verdrängung». Solches zu behaupten, stiess auf das Unverständ- nis einiger Historiker, die, wenn wir richtig verstan- den haben, argumentierten, dass fachhistorisch das meiste oder doch das Entscheidende aufgearbeitet, publiziert und allgemein zugänglich sei. Wem also soll der Vorwurf der Verdrängung gelten? Natürlich muss die Antwort lauten: Wenn es ein «Vorwurf» ist, dann gilt er allen und keinem und jedenfalls nicht den Historikern speziell. Die Katastrophe, das, was am 1) Zitiert nach: Weber, Elisabeth (Hrsg.): Jüdisches Denken in Frank- reich. Frankfurt am Main, 1994, S. 183. 2) Becker. Franziska; Jeggele. Utz; Als ein Buch von der Empore der Synagoge herunterfiel. Vom Wegschauen der Menschen und den glä- sernen Händen der Erinnerung. In: Frankfurter Rundschau, 11. Feb- ruar 1989. Zitiert nach: Huber, Heinz G.: «Er war halt au e Judd!» Nachforschungen eines Ortschronisten oder Vom Umgang mit Vorur- teilen und Erinnerungen in einem Ortenauor Dorf. In: Allmende 24/25. Baden-Baden. 1989, S. 132. 3) Vogelsang, Carl Frh. v.: Sturm im Wasserglas? Manuskript 1937 (im LLA). S. 159 ff. 4) Ebenda. S. 161 (Hervorhebung N. IL). 5) Die Belege dafür sowie zu den obigen Gerichtsdaten finden sich in den Gerichtsakten Schaie-Rotter im Landesarchiv Berlin (A Rep. 358-02 Nr. 108613). erhoben von Peter Kamber im November 2003 in Berlin. Ich möchte Peter Kamber an dieser Stelle für seine grosse Hilfsbereitschaft danken. 6) Einen Anfang, immerhin, macht: Schremser, Jürgen: «Der einzige Mann, der die Sache auf sich nehmen könnte.. .». Zur Rolle von Dr. Alois Vogt in den liechtensteinisch-deutschen Beziehungen 1938 bis 1945. In: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (JBL). Band 98 (1999). S. 49-109. Darin insbesondere S. 55-59. 7) Zu lesen auf der Website des Literaturhauses Liechtenstein: www.literaturhaus.li («Archiv»). 59
	        

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