Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2004) (103)

den Standpunkt gestellt, dass die Anwendung des zweiten Strafsatzes nicht in Betracht komme. Hin- gegen sei der Umstand, dass «Tod und Verletzung» eintraten als strafverschärfend zu betrachten. Auf- grund des anzuwendenden Art. 31 Ziff. 9 der Straf- rechtsnovelle vom 1. Juni 192224 war somit für das Gericht ein Strafrahmen von 1 'A Jahren bis 10 Jah- ren schweren Kerkers gegeben. Besonders zu beto- nen ist, dass sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das Kriminalgericht nicht vom zweiten Strafsatz ausgingen. Aufgrund des Sachverhaltes wäre es je- doch durchaus möglich gewesen, den höheren Strafrahmen anzuwenden. Während der Staatsan- walt die Argumente noch gegeneinander abwog und sich nach dem Grundsatz «in dubio pro reo» auf den ersten Strafsatz festlegte,23 hat sich das Kriminalge- richt mit der Begründung auf den ersten Strafsatz festgelegt, dass nicht einmal der Staatsanwalt eine Anwendung des zweiten Strafsatzes verlangt habe. Zusätzlich zu dieser Festlegung auf den tieferen Strafrahmen unter Berücksichtigung von Art. 31, Ziff. 9 der Strafrechtsnovelle, hat das Kriminalge- richt ebenfalls in Übereinstimmung mit dem Staats- anwalt § 54 StG (ausserordentliches Milderungs- recht) angewandt. Gemäss dieser Bestimmung konn- te die Strafuntergrenze wesentlich unterschritten werden, «sofern mehrere und zwar solche Milde- rungsumstände zusammentreffen, welche mit Grund die Besserung des Verbrechers erwarten lassen.» Bei der Strafbemessung betrachtete es das Krimi- nalgericht als erschwerend, dass der Angriff gegen vier Personen, darunter zwei Frauen und davon eine Frau, die mit den angeblichen Straftaten der Schaies nichts zu tun hatte, gerichtet war und dass die Tat ei- nen grossen Schaden nach sich zog, da zwei Perso- nen den Tod fanden und zwei andere verletzt wur- den. Dem Angeklagten Schädler alleine wurde er- schwerend angerechnet, dass er das besondere Ver- trauensverhältnis zwischen Gast und «Vertreter der Fremdenbeherbergung» missbraucht habe, was eine schwere Erschütterung des Vertrauens in die Gast- freundschaft des Landes bedeute.26 Als Strafmilderungsgründe wurden allen Ange- klagten ihre bisherige Straflosigkeit, der gute Leu- mund und das Tatsachengeständnis angerechnet. 
Weiter hielt das Kriminalgericht für strafmildernd, dass die Tat beim Versuch geblieben ist. «Letzterer Umstand kann allerdings weniger ins Gewicht fallen angesichts der Tatsache, dass in letzter Linie als Auswirkung der Tat Tod und Verletzung der Ange- griffenen eintraten und damit die Tat in ihrem End- ergebnisse in gewissem Sinne noch die Wirkung der vollendeten Tat übertraf. Dagegen war als beson- ders mildernd zu berücksichtigen, dass die Tat nicht etwa aus unlauteren, sondern aus reinen, vaterlän- dischen Motiven entsprang, dies bei allen Angeklag- ten.»27 «Als mildernd war endlich zu berücksichti- gen, dass die Tat der Angeklagten unter der Einwir- kung der grossen gegenwärtigen Zeitströmungen und Ideengängen besonders in Deutschland began- gen wurde ...».2S Aus heutiger, juristischer Sicht bleibt es unver- ständlich, weshalb das Kiäminalgericht zum Schluss kam, dass die Milderungsgründe überwiegen und «Besserung der Angeklagten zweifellos zu erwarten ist,» und deshalb § 54 StG bei allen Angeklagten an- zuwenden sei. Dagegen sprach sich das Gericht ge- gen einen «bedingten Strafvollzug» aus und begrün- dete dies mit der Schwere der Tat, die eine grobe Er- schütterung der Rechtsordnung darstelle und darum «eine entsprechende Sühne durch Verhängung einer unbedingten Strafe» erheische.29 Daraus ist auch die Widersprüchlichkeit in der Anwendung von § 54 StG ersichtlich. Einerseits argumentierte das Gericht, dass die Milderungsgründe die Erschwerungsgründe wesentlich überwiegen und die Anwendung des aus- serordentlichen Milderungsrechtes rechtfertige, an- dererseits verwehrte es aufgrund des schwerwie- genden Verstosses gegen die Rechtsordnung den be- dingten Strafvollzug. Es wird deutlich, dass das Ge- richt die Tat als ein schweres Verbrechen beurteilte, das eigentlich eine hohe Bestrafung verdiente, den- noch aber alle juristischen Möglichkeiten ausschöpf- te, um die Angeklagten milde zu bestrafen. Offenbar konnte sich hier das Gericht dem Zeitgeist nicht ent- ziehen.30 54
	        

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