Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2004) (103)

War also die Heimlichtuerei mit dem Geld - das, wohinter die Leute heimliches Ins-Ausland-Schaffen von hohen Vermögen vermuteten - Ausdruck purer Scham über diese nicht mehr hereinholbaren Verlus- te? Das ist die wahrscheinlichste psychologische Er- klärung. Mitte 1931, als die Rotter schon einmal beinahe am Ende waren, ging Alfred Rotter in die Wohnung des künstlerischen Leiters des Metropol- Theaters Friedrich-Frederich: Er «bekam einen Weinkrampf, äußerte sich verzweifelt über seine ma- terielle Lage und erklärte, dass er nichts besitze. Ich habe darauf im Scherz gesagt, <nicht im Inlande>, daraufgab er zur Antwort: <Leider auch nicht im Aus- land).22 Auch die Vorschüsse der Dresdner Bank für die Theaterprojekte der Rotter erwiesen sich - trotz der Zession laufender Theatereinnahmen an die Bank und hypothekarischer Belastung der Theater und des Grundstückbesitzes - als zunehmend unsi- cher. Die Dresdner Bank veranlasste darauf im Janu- ar 1931 eineTreuhandprüfung. «Dieser Bericht zeig- te ein derart unmögliches Geschäftsgebaren der Ge- brüder Rotter, dass wir vom Frühjahr 1931 ab keine Kredite mehr an die Rotters gewährten.»23 Von da an waren die Rotter ganz auf die Vorschüs- se der Theaterbesuchorganisation «Gesellschaft der Funkfreunde» angewiesen, die nun für sie wie eine Art Bank funktionierte. Der zunehmenden Macht de- ren Leiters Henschke versuchten sich die Rotter im Juni 1932 durch den Aufbau eines konkurrierenden Kartenvertriebssystem zu entziehen.24 Aber die «Ge- sellschaft der Funkfreunde» durchkreuzte dieses Spiel und begann die Preispolitik der Rotter immer stärker zu diktieren. Der langjährige künstlerische Leiter des Metropol-Theaters, Direktor Friedmann- Frederich führte «den geschäftlichen Zusammen- bruch» hauptsächlich «darauf zurück, dass die Ein- trittspreise von Jahr zu Jahr sanken und außerdem Karten zu stark ermässigten Preisen von der Gesell- schaft der Funkfreunde> ausgegeben wurden.»25 So öffnete sich eine Schere und trotz des fulminanten Er- folgs der Uraufführung der von Alfred Rotter insze- nierten Operette «Ball im Savoy» von Paul Abraham am 23. Dezember 1932 im angemieteten Grossen Schauspielhaus in Berlin, war die Lage Mitte Januar 1933 nicht mehr zu retten.26 
Die durch den Konkurs der Rotter in Mitleiden- schaft gezogenen Schauspieler und Angestellten er- hielten Ende Januar 1933 ihre ausstehenden Gagen und Gehälter, wenn auch nicht alle in ganzer Flöhe, auf Grund der für die Theaterkonzessionen beim Po- lizeipräsidium hinterlegten Kaution von 36 000.- RM. «Ball im Savoy» wurde erfolgreich - «glänzender Besuch» («Nachtausgabe», 19. Januar 1933) - wei- tergespielt, mit nur einer Unterbrechung zwischen dem 3. und 6. Februar, en suite bis zur durch die Na- zis erzwungenen Absetzung der Operette nach der letzten Aufführung am 2. April 1933,27 einen Tag nach Beginn der sogenannten «Boykott»-Massnah- men gegen die Juden, und nur drei Tage vor dem Ver- brechen an den Rotter auf Gaflei. Nichts kann die Worte etwa jener Rotter-Denunzi- antin Irene W. aus Neubabelsberg vom 24. März 1933 rechtfertigen: «Ich halte es für meine Pflicht Sie, bei Ihrer Säuberungsaktion gegen die Parasiten am deutschen Staat, durch vorstehende Hinweise zu un- terstützen, damit das deutsche Volk wieder Zutrauen und Achtung vor der deutschen Rechtspflege be- kommt! Heil Hitler!». NICHT DIESELBE SPRACHE: STIMMEN VOR GERICHT Wladimir Rosenbaum, einer der Anwälte der soge- nannten Zivilpartei, das heisst der Opferfamilie, wur- de im Gerichtssaal von Vaduz gleich zweimal ausge- lacht. Beide Male beabsichtigte er, nur - als Anwalt - den Ruf der beiden Zu-Tode-Gekommenen und des überlebenden Fritz Rotter zu verteidigen. Rosen- baum dürfte sich quälend bewusst gewesen sein, dass am 7. und 8. Juni 1933 im Raum des fürstlich- liechtensteinischen Landgerichts unausgesprochen zwei Verfahren gleichzeitig vor der Entscheidung standen: erstens das gegen die Entführer und zwei- tens in Form wiederkehrender sprachlicher Vorver- urteilungen gegen den «übrig gebliebenen» Berliner Theaterdirektoren Fritz Rotter. Wenn Rosenbaum auf Seiten der Täter, ihrer Verteidiger und ihrer An- hänger im Publikum «Heiterkeit» auslöste, dann of- fenbar deshalb, weil es da für eine ausgemachte Sa- 34
	        

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