Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2004) (103)

DAS BILD DES FÜRSTEN SASCHA BUCHBINDER / MATTHIAS WEISHAUPT Liechtenstein Fürstentum Liechtenstein 1962 1965 1967 DER LANDES VATER UND DIE RIO-MACHT Augenfällig wird die Inszenierung des Fürsten als Landesvater anlässlich des Huldigungsaktes vom 29. Mai 1939. Vor der eigentlichen Huldigung zog das Volk am Fürsten vorüber. Zunächst sechs Herolde zu Pferd, dann eine Gruppe historischer Fahnen sowie die Landesfahne und der Musikverein und anschlies- send eine Kindergruppe nach der anderen: die Pfad- finder, die Pfadfinderinnen, die Volksschülerinnen, die Volksschüler, die Landes-, die Sekundär- und Missionsschule sowie das Marianum Vaduz, dazwi- schen ein ums andere Mal eine Musikgruppe. Die Kinder bildeten die Spitze des Festzuges, erst nach ihnen folgten die Behördenvertreter.84 Die Botschaft war augenfällig: Indem den Kindern der Vortritt zu- gestanden wurde, gewann das Bild des Fürsten als Landesvater an Kontur. Um die Implikationen dieses Bildes zu verstehen, muss man mit einem Tabu der Historiographie bre- chen: Bedauerlicherweise hat sich die Forschung bislang darauf versteift, die Rolle des Landesvaters vollständig asexuell zu interpretieren. Dies, obschon die Rolle des Vaters unübersehbar auf die Prokreati- on verweist: ohne Zeugung keine Kinder und ohne Kinder keine Vaterschaft. Bedeutsam ist dieser Zu- sammenhang insofern, als Michel Foucault in seiner Untersuchung zur Geschichte der Sexualität ihre po- litische Bedeutung aufgezeigt hat. Im ersten Band von «Sexualität und Wahrheit» fokussiert er das Re- gelset der Bio-Macht als das spezifische Paradigma der Moderne.85 Als wesentlichen Unterschied be- stimmt Foucault dabei die Funktionsweise der Herr- schaftsausübung: Das klassische Recht fusste auf ei- ner archaischen, unökonomischen Macht über das Leben, wie sie der mittelalterliche Fürst im Blutbann ausübte. Der Herrscher konnte «sterben ... machen und leben 
... lassen.»^ Staatliche Gewalt als Macht über Leben und Tod war somit eine bloss verneinen- de, keine gestaltende Macht. Genau umgekehrt wirkt hingegen die Bio-Macht, die die Gestaltung des Le-bens 
zum Ziel hat, die es verwaltet, vor allem aber auch fördert. Zurückführen lässt sich dieser Wechsel auf die grundlegende Transformation des vorherr- schenden Wissensdispositivs im Zuge dessen, was Foucault als den zweiten epistemologischen Bruch bestimmt,87 welcher mit der Herausbildung neuer Wissensformen, insbesondere der Natur- und Geis- teswissenschaften sowie der Ökonomie einherging. Seit dem Beginn der Moderne wirkt das, was Fou- cault als Bio-Macht beschrieben hat, auf die Körper ein als eine normative, gestaltende Macht, die zu- gleich eine entgrenzte Macht ist, die den Tod nicht mehr als ihr Sanktionsmittel kennt, sondern nur noch als letzte Schranke.88 Innerhalb dieses Dispositivs entfaltet sich also an jenem 29. Mai 1939 auch der Höhepunkt des Huldi- gungsaktes mit dem Schwur des Fürsten, durch den sich der väterliche Fürst für sein Volk verantwortlich erklärt und ihm die Treue schwört.8'' Moderne Herr- 80) Franz Josef II. 50 Jahre Regierender Fürst, S. 9. 81) Rechenschaftsbericht der fürstlichen Regierung an den hohen Landtag. 1945, S. 64, zitiert nach Liechtenstein 1938-1978, S. 110 f. 82) Liechtensteiner Volksblatt, 25. Juli 1967, zitiert nach Liechten- stein 1938-1978, S. 357. 83) Diggelmann, Waltor: Briefmarken als Visitenkarte Liechten- steins. In: Unsere Kunstdenkmäler. Mitteilungsblatt für die Mitglie- der der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte 43 (1992), S. 218-225. - Katalog Schweiz / Liechtenstein, S. 465-628. 84) Liechtensteiner Vaterland. 27. Mai 1939. Programm der Huldi- gungsfoier. 85) Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahr- heit 1. Frankfurt a. M., 1995, S. 161-190. 86) Ebenda, S. 162. 87) Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Frankfurt a. M., 1991, S. 269 ff. 88) «Jetzt richtet die Macht ihre Zugriffe auf das Leben und seinen ganzen Ablauf; der Augenblick des Todes ist ihre Grenze und entzieht sich ihr.» Foucault. Wille zum Wissen, S. 165. 89) Geiger, Peter: Krisenzeit. Liechtenstein in den Dreissigerjahren 1928-1939. Bd. 2. Zürich, 1997, S. 417-426. 209
	        

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