Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2004) (103)

DAS BILD DES FÜRSTEN SASCHA BUCHBINDER / MATTHIAS WEISHAUPT 50-jährigen Verfassungsjubiläum wurde allerdings kaum Aufmerksamkeit geschenkt; das öffentliche In- teresse konzentrierte sich in diesem Jahr auf den 200 Jahre zurückliegenden Kauf der Grafschaft Vaduz durch das Fürstenhaus Liechtenstein, wobei dieser Kauf in erster Linie mit der «göttlichen Vorsehung» und weniger mit der «Mitwirkung des Volkes» in Ver- bindung gebracht wurde.57 Die aus diesem Anlass für Schulen und Vereine pu- blizierte Broschüre «Liechtensteinische Lieder»58 geben ein klares Abbild von der zentralen Stellung des Fürsten in der liechtensteinischen Jubiläumskul- tur: Der Grundtenor dieser Heimat- und Vaterlands- lieder wird getragen von einer Landschafts- und Al- penidylle, deren Funktionsweise als Negation jegli- cher historischer Entwicklung zu verstehen ist. Die Schilderung landschaftlicher Idyllen dient dazu, Un- veränderlichkeit über die Jahrhunderte hinweg zu il- lustrieren, indem sie in der Erzählung eine heimatli- che, vertraute Kulisse bereitstellen. Bilder dieser Art entsprechen der Funktionsweise einer imaginären Geschichte,59 die ihr Publikum narkotisiert, indem sie die historische Differenz bestreitet und sugge- riert, Vergangenheit und Gegenwart seien eins, das Gewesene sei «doch immer zugleich das <Von-jeher- Gewesene>.»60 In der Alpenidylle kommt die Ge- schichte somit zum Stillstand, sie wird ihres histori- schen Index beraubt.61 Entsprechend findet kein historisches Ereignis im Liedgut seinen Niederschlag, und die einzige Figur, die im Gesang geehrt wird, ist zuverlässig der Fürst. So werden im Lied «Mein Liechtenstein» von Josef Gassner nach der Melodie von Josef Gabriel von Rheinberger in den ersten drei Strophen die Schön- heiten des «Liechtensteinervaterlandes» besungen- «Dort, wo am jungen Rhein stolz drei Schwestern stehn, umrauscht vom milden Süd des Falknis Tan- nen wehn, wo Hirsch und Gemse froh am Hahnen- spiele springt, auf hoher Alpenflur der Senne singt ...»-, um in der Schlussstrophe den Fürsten zu prei- sen: «Dort, wo ein Vaterherz, ein edler Fürst so mild 
der Witwe Sorgen heilt, der Waise Tränen stillt, in dessen Herzen stets der gute Engel thront, beim Volk, wo Fürstentreu und Freiheit wohnt, da ist die Heimat mein, da bin ich wohl bekannt, du schönes Liechten- steinerland.»62 In der Schlussstrophe von S.J. Isidor Hopfners «Liechtensteinischer Volkshymne» heisst es: «Hoch lebe Liechtenstein, blühend am deutschen Rhein, glücklich und treu. Hoch leb' der Fürst vom Land, hoch unser Vaterland, durch Bruderliebe Band vereint und frei.»63 Und selbst im «Weihelied zur Zweihundertjahrfeier 1912» von Johann Baptist 50) Liechtenstein 1938-1978. - Liechtenstein 1978-1988. 51) Hobsbawm, Eric: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. München, 1995. 52) Siehe Anmerkung 46. 53) Wie Anmerkung 49. 54) Vogt, Wendepunkt, S. 11. 55) Zur Gedächtniskultur in Liechtenstein siehe: Vogt, Wendepunkt, S. 3 ff. 56) Ebenda, S. 6-8. 57) Ebenda, S. 9. 58) Liechtensteinische Lieder (wie Anmerkung 37). 59) «Das Imaginäre ist die Szene eines verzweifelten wahnhaften Versuchs, zu sein und zu bleiben, <was man ist>, indem man sich immer mehr Beispiele dos Selben, eines Ähnlichen oder Selbst- Kopien herbeiholt. Es ist der Geburtsort eines narzisstischen Ideal- Ichs.» Bowie, Malcolm: Lacan. Aus dem Englischen v. Klaus Laer- mann. Göttingen, 1994, S. 90. Zum Konzept der imaginären Ge- schichte vgl. Buchbinder, Wille zur Geschichte, S. 46-54. 60) Benjamin, Gesammelte Schriften, Bd. V.l. S. 580. 61) Zur Beziehung von Landschaft und Natur siehe Dinnebier, Anto- nia: Die Innenwelt der Aussenwelt. Die schöne «Landschaft» als ge- sellschaftstheoretisches Problem. Berlin, 1996 (Landschaftsentwick- lung und Umweltforschung. Schriftenreihe im Fachbereich Umwelt und Gesellschaft der Technischen Universität Berlin. Bd. 100). - Oester, Kathrin: Unheimliche Idylle. Zur politischen Rhetorik heimat- licher Bilder. Diss. Fribourg. Köln, 1996. - Schama, Simon: Der Traum von der Wildnis. Natur als Imagination. München, 1996. 62) Liechtensteinische Lieder, S. 6 f. 63) Ebenda, S. 26 f. 203
	        

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