Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2004) (103)

DAS BILD DES FÜRSTEN SASCHA BUCHBINDER / MATTHIAS WEISHAUPT F II E R S T E iN^rTnvT^MTTjEH S T E IN T ÜMHF II I l> '• II1 IN I IIIMBWI II I II ', I I iN I 11 Hl 1940 Institut neu herausgegeben, besitzt allenfalls für hi- storisch überdurchschnittlich Interessierte «eine ho- he symbolische und emotionale Bedeutung», wie dies der Historiker Paul Vogt im Vorwort schreibt; der befürchteten Mythenbildung leistet diese frühneu- zeitliche Wirtschaftsquelle aber keinen Vorschub.31 Wenn mit Mythenbildung der Entwurf einer Liech- tensteiner Identität gemeint ist, so kann ein Kaufver- trag solche Angebote nicht machen, weil ihm die Qualität eines Bildes im oben ausgeführten Sinn ab- geht. Der Vertrag ist keine «Dialektik im Stillstand», keine Überblendung von Jetztzeit und Gewesenem -, sondern eine nüchterne, allein historisch-wissen- schaftlich aufschlussreiche Urkunde. Ein Vergleich mit dem Schweizer Bundesbrief von 1291 verdeut- licht den Unterschied: Auch diese Urkunde hatte lan- ge Zeit keinerlei identitätsstiftende Bedeutung. Erst durch die wissenschaftlich legitimierte Verquickung von Urkunde und Befreiungssage konnte sich zwi- schen Pergament und Leselampe eine «Bibliotheks- phantastik»32 entwickeln. Die Urkunde diente dabei nur als Verankerungspunkt im Wissenschaftsdis- kurs; das <mythische>, beziehungsweise identitäts- stiftende Potential bezieht der Bundesbrief hingegen nicht aus seinem Text, sondern aus dem Geschichts- bild der so genannten eidgenössischen Freiheits- kämpfe mit den Heldenvätern, die ihr Blut für Frei- heit und Vaterland geopfert haben. Nicht mehr die quellenkritische Lektüre der Urkunde stand von da an im Vordergrund, sondern die Betrachtung oder Anrufung des Bundesbriefes als eine Art Heimatfilm. Das Pergament bekam die Qualität einer Filmrolle, welche die zielgerichtet ablaufenden historischen Bilder zu fassen vermochte. Der Kaufvertrag von 1699 birgt hingegen keine solchen Bilder, es fehlen die Helden und die sinnstif- tende Erzählung, auf welche die Urkunde verweisen könnte. Auch Peter Kaisers Anekdote, wonach der Landammann, der sich gegen den Aufkauf der Grundherrschaft durch die Landschaft gewandt hat- te, dafür als Untoter büssen müsse,33 taugt nicht zur 
Identitätsstiftung, weil sie nicht von der Geburtsstun- de des Kollektivs erzählt, sondern im Gegenteil von einer verpassten Selbstfindung. 20) Kaiser, Peter: Geschichte des Fürstenthums Liechtenstein. Nebst Schilderungen aus Chur-Rätien's Vorzeit. Chur, 1847. Neuausgaben: 1923 u. 1989. 21) Geiger, Liechtenstein, S. 231. 22) Zitiert nach Biedermann. Klaus: Geschichtliche Forschungen und Publikationen. Eine Möglichkeit zur Identitätsfindung in Liechten- stein. In: Liechtenstein - Politische Schriften. Bd. 34 (2001), S. 22-30, hier S. 25. 23) Biedermann, Geschichtliche Forschungen, S. 24 f. 24) Geiger, Liechtenstein, S. 231. 25) Lacan, Jacques: Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint. In: Jacques Lacan, Schriften I. Hrsg. Norbert Haas. Weinheim, 19913, S. 61-70. 26) Benjamin (wie Anmerkung 9). 27) Ausführlich hergeleitet in: Buchbinder, Sascha: Der Wille zur Geschichte. Schwoizorgeschichte um 1900 - die Werke von Wilhelm Oechsli, Johannes Dierauer und Karl Dändliker. Diss. Zürich. Zürich. 2002. - Weishaupt, Matthias: Bruderliebe und Heldentod. Geschichtsbilder und Geschichtskultur in Festreden am schweizeri- schen Schützenfest in Glarus 1847, in: Die Schweiz 1798-1998: Staat - Gesellschaft - Politik, Bd. 1: Revolution und Innovation. Die konfliktreiche Entstehung des schweizerischen Bundesstaates von 1848. Hrsg. Andreas Ernst, Albert Tanner, Matthias Weishaupt. Zürich, 1998, S. 61-78. 28) Vgl. Gestöhl, Sioglinde: Wir sind wer! Wer sind wir? Laute Gedan- ken zur liechtensteinischen Identität. Festvortrag zum 70. Geburts- tag von Fürstlichem Justizrat Dr. Dr. h.c. Gerard Batliner, gehalten am Liechtenstein-Institut am 18. Dezember 1998. Vaduz. 1999 (Vor- träge am Liechtenstein-Institut. Kleine Schriften 30), S. 14 u. 23 f. 29) Kristeva, Julia: Die Revolution der poetischen Sprache. Frankfurt a. M., 1978, S. 77-94. 30) Flacke, Monika (Hrsg.): Mythen der Nationen. Ein europäisches Panorama. Begleitband zur Ausstellung des Deutschen Historischen Museums vom 20. März bis 9. Juni 1998. Berlin, 1998, S. 15. 31) Kaufvertrag, S. 7. 32) Foucault, Michel: Schriften zur Literatur. Aus dem Französischen von Karin von Hofer. München, 1974, S. 160. 33) Kaiser, Geschichte. S. 424 f. 199
	        

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