Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2004) (103)

ZUR ERSTVERÖFFENTLICHUNG DES ROSENBAUM- PLÄDOYERS / URSINA JUD waltung bekundete erhebliche Liquiditätsproble- me37 und als Folge der Krise lebten in Berlin über- durchschnittlich viele Arbeitslose.38 In dieser Notla- ge sprach die Mehrheit der Stimmbevölkerung den demokratischen Parteien die Fähigkeit zur Problem- lösung ab, sie favorisierte autoritäre Lösungen zur Krisenbewältigung. Deshalb konnten bei den Wah- len vom November 1932 antidemokratische Parteien rund 70 Prozent der Stimmen für sich gewinnen.39 Die Krisenjahre zwischen 1929 und 1933 gingen in- des nicht nur mit einer allgemeinen «Politisierung» einher, sondern auch mit einer besorgniserregen- den Zunahme der Gewalt im öffentlichen Raum:40 Nationalsozialisten und Kommunisten verübten re- gelmässig Anschläge auf gegnerische Einrichtungen und lieferten sich zahlreiche Strassenschlachten.41 DER AUFSTIEG DER BERLINER NSDAP - ANTISEMITISCHE AUSSCHREITUNGEN In der Hauptstadt - wie auch in den meisten ande- ren Grossstädten - stand die Stimmbevölkerung den Nationalsozialisten grundsätzlich kritischer ge- genüber, als dies in ländlichen Regionen der Fall war. Die deutsche Kapitale war zudem traditionell eine Hochburg der Kommunisten. Noch im März 1933 lag der NSDAP-Wähleranteil in Berlin deut- lich unter dem Reichsschnitt.42 Der Berliner Gau der NSDAP wurde 1925 ge- gründet.43 Der Aufstieg der NSDAP verlief im roten Berlin zunächst zwar harzig, aber ab November 1926 - als Goebbels die Leitung übernahm - jedoch stetig.44 Hingegen blieben die von den Nationalso- zialisten ab 1927 reichsweit lancierten Aufrufe zum Boykott jüdischer Unternehmen in Berlin rela- tiv erfolglos - dies im Gegensatz zu ländlichen Ge- bieten.45 Ferner musste 1927 der Gau Berlin-Bran- denburg der NSDAP ein einjähriges Verbot hinneh- men, nachdem dieser mehrere Strassenschlachten initiiert hatte.46 Auch wenn die Mehrheit der Berliner Bevölke- rung als nicht-nationalsozialistisch bezeichnet wer- den kann, manifestierte sich in Berlin wie im übri- gen Deutschland ab dem Ende der 1920er Jahre 
22) Köhler, Berlin, 1987, S. 814-824. 23) Brenner, Weimarer Jahre. 2001, S. 170 f. 24) Richarz. Erfolg. 1988. S. 179, und Zimmermann, Juden 1997, S. 111. 25) Zimmermann. Juden 1997, S. 111. 26) Sie stammten überwiegend aus Polen, Russland und Galizien. aber auch aus (anderen) Gebieten der früheren Habsburgermonar- chie. Viele von ihnen waren im Krieg in den besetzten Gebieten als Arbeitskräfte angeworben worden. Daneben kamen auch jüdische Studierende, Schriftstellerinnen und Künstlerinnen aus dem östli- chen Europa und aus Wien zunehmend in die Reichshauptstadt. Ri- charz, Erfolg, 1988, S. 179, 27) Richarz. Erfolg, 1988. S. 180 und Aufstellung «Wohnbereiche der Berliner Juden» auf'S. 183. 28) Richarz, Erfolg, 1988, S. 181. 29) Ebenda sowie Barkai, Loben, 1997. S. 61. 30) Zimmermann. Juden, 1997, S. 110. 31) Herzig. Geschichte. 2002, S. 217. 32) Brenner, Weimarer Jahre, 2001. S. 151 f. 33) Barkai. Leben, 1997. S. 59. 34) Brenner. Weimarer Jahre. 2001, S. 174. 35) Ebenda, S. 174 f. 36) Köhler. Berlin. 1987. S. 901. 37) Ebenda, S. 901 f. 38) Kuczinski, Effets, 1995, S. 213 f. 39) Köhler. Berlin. 1987, S. 919. 40) Rosenhaft, Guerre. 1995. S. 196 f. 41) Köhler. Berlin, 1987, S. 918. 42) Siehe dazu Köhler, Berlin, 1987, S. 919. 43) Rosenhaft. Guerre, 1995, S. 198. 44) Goebbels verschaffte der NSDAP Berlin, damals eine kleine, in sich zerstrittene Partei, viele neue Anhänger, Bering, Notwendigkeit. 1998. S. 308. 45) Zimmermann. Juden, 1997. S. 431'. 46) Bering. Notwendigkeit. 1998. S. 308 f. Die Polizei wurde infolge- dessen von den Nationalsozialisten vehement kritisiert, insbesonde- re weil der Vizevorsteher, der Jude Bernhard Weiss, das Gau-Verbot von 1927 unterzeichnet hatte. Die NSDAP warf ihm parteiisches Vor- gehen gegen die Nationalsozialisten vor. Er wurde von Goebbels und vielen anderen regelmässig in den nationalsozialistischen Zeitungen angegriffen. Weiss musste zurücktreten, als Brünig die Macht über- nahm. Weiss war einer der letzten jüdischen Beamten in hoher Stel- lung gewesen. Bering, Notwendigkeit, 1998, S. 305-329. 11
	        

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