Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2004) (103)

ERBSCHAFTSBEGEHREN 1944 
KZ RAVENSBRÜCK: «NR. 72427» Im Sommer 1944 meldeten sich Verwandte des ver- storbenen Freiherrn aus Deutschland. Sie erhoben Anspruch auf das Erbe. Ihnen war bekannt, dass Frau von Hoffmann «von Meran abtransportiert» und das Vermögen beschlagnahmt worden war. Va- leska von Hoffmann sass zu diesem Zeitpunkt im- mer noch im Lager Reichenau. Die «Sächsische Re- visions- und Treuhandgesellschaft A.-G.» in Leipzig, welche die Verwandten des Freiherrn vertrat, stellte nun am 7. Juli 1944 erbrechtliche Fragen an die Re- gierung in Vaduz-. Ob das italienische oder das liech- tensteinische Erbrecht gelte? Ob Frau von Hoff- mann legitime Erbin, und zwar Vollerbin gemäss Testament, sei oder nicht? Falls sie nach den italie- nischen Judengesetzen nicht Erbin werden konnte, so wären, schloss jene Gesellschaft, die von ihr ver- tretenen deutschen Blutsverwandten des verstorbe- nen Barons dessen Erben.91 Der liechtensteinische Landgerichtspräsident Dr. Julius Thurnher, den die Regierung um Äusserung ersuchte, stellte für die Regierung klar, dass für den Fall Hoffmann allein liechtensteinisches Erbrecht gelte, und zwar auch nach dem italienischen Zivil- gesetzbuch - welches er zitieren konnte -, und dass es ausser für Kinder oder Eltern keinen Pflichterb- teil gebe, also nichts für jene Verwandten. Landrich- ter Thurnher folgerte unmissverständliclv. Nach liechtensteinischem Recht sei Frau Hoffmann Er- bin, und zwar «selbst wenn die Judengesetze sie erbunfähig sprächen».92 Diese Rechtsauskunft wur- de von der Regierung übernommen und nach Leip- zig mitgeteilt. Die Regierung ersuchte zugleich das EPD, sich der «Rettung» des Nachlasses Hoffmann für die Witwe anzunehmen.93 Zweierlei tritt hervor: Landrichter Thurnher und die liechtensteinische Regierung Hessen keine rassis- tischen «Judengesetze» gelten. Den erblüsternen deutschen Verwandten des verstorbenen Barons hingegen galt die deportierte Witwe und KZ-Jüdin schon als tot, sozial wie rechtlich. In die KZ-Welt von Ravensbrück, wo Gleiches galt, haben wir nun zu blicken. 
Von der RSHA-Anordnung Ende August 1944, Vales- ka Hoffmann nach Ravensbrück zu deportieren, bis zur vollzogenen Einlieferung dauerte es einen Mo- nat. Am 15. September 1944 wurde Valeska von Hoffmann aus dem Innsbrucker Polizeigefängnis über Berlin Richtung Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück abtransportiert. Zehn Tage später traf sie dort ein. Wo lag und was war das KZ Ravensbrück? Ra- vensbrück liegt 70 km nördlich von Berlin in Bran- denburg, am Rand der Stadt Fürstenberg, am klei- nen Schwedtsee, den die Havel bildet. Das Gebiet gehörte nach 1945 zur Sowjetzone und von 1949 bis 1990 zur DDR. Die Luftaufnahme eines britischen Kampfflugzeugs von Ende März 1945 zeigt die Situ- ierung des Lagers (siehe die Abbildung auf Seite 122). Es war 1939 als spezielles «Frauen-Konzen- trationslager» errichtet und danach ständig erwei- tert worden. Die Anzahl der Insassinnen stieg von einigen tausend auf einen Höchstbestand von über 40 000 gleichzeitig Inhaftierten. Viele Tausende star- ben im Lager, krank, verhungert, erschöpft, miss- handelt, als medizinische Versuchstiere, durch Gift- spritzen, teils auch in den noch 1944 errichteten Gaskammern. Zum Lager gehörte auch eine Männer- abteilung. Der Grundrissplan des gesamten Lagers macht die Ausmasse, die Teile und die Funktionen deutlich (siehe die Abbildung auf Seite 123). Es bestand aus Kommandantur, Häftlingswohnbaracken, deren Anzahl mehrfach erweitert wurde - Altes Lager, Neu- es Lager, Siemens-Häftlingsbaracken, zusammen schliesslich über 60 Häftlingsbaracken -, «Bunker» für Dunkelarrest, «Desinfektion», schliesslich Gas- kammer, Krematorium für die Gestorbenen und Er- mordeten, Männerlager, «Jugendschutzlager Ucker- mark» (später Vernichtungslager für Alte, Kranke und Irre), diverse Werkstätten, unter anderem eine grössere Anlage der Firma Siemens. Der Häftlings- bereich war von einer hohen Mauer umgeben, be- kränzt mit elektrisch geladenem Draht, den Insas- sinnen war der Blick auf den idyllischen Schwedtsee verwehrt. Ausserhalb des Gefangenenbereichs lagen 120
	        

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