Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2003) (102)

Kunst236 - auf die österreichische Kunst des 19. Jahrhunderts zu legen. Zwar wollte man anfangs ausdrücklich nicht die Sammlung mit Werken aus den vergangenen Jahrzehnten ergänzen.237 Doch als 1909 ein neuer Direktor eingesetzt werden soll- te, suchte man schon seit zwei Jahren nach einem «tatkräftigen Fachmann, der die Wiener Kunst- verhältnisse und die österreichischen Künstler kennt».238 Wahrscheinlich kam die Anregung, die Moderne Galerie im Jahr 1912 in «Österreichische Galerie» umzubenennen, vom neuen Direktor Dr. Friedrich Dörnhöffer, dem ehemaligen Kustos des k. k. Kupferstichkabinetts der Hofbibliothek.239 Ob die Waldmüller-Gemälde, die ja auf unbe- stimmte Zeit der Modernen Galerie übergeben wer- den mussten, die Entwicklung vom Museum der modernen Kunst zum Museum der österreichi- schen Kunst des 19. Jahrhunderts beschleunigten, kann nur vermutet werden. Die Verschiebung der Waldmüller-Gemälde vom Historischen Museum zur Modernen Galerie ver- bildlicht die aufkommende Biedermeier-Rezeption. Neues national-historisches Bewusstsein führt schliesslich zur künstlerischen Neubewertung der eigenen Kunstproduktion. 
DAS KULTURELLE DENKEN IN WIEN UM 1900 - EINE SKIZZE In einem Zeitungsartikel des Neuen Wiener Tag- blattes mit dem Titel «Das fürstliche Geschenk» vom 3. August 1894 ist folgendes zu lesen: «Die reichhaltige Sammlung von Bildern der besten Meister aus der Alt-Wiener Schule, welche durch die nachahmenswerthe Munifizienz des Fürsten Jo- hann von und zu Liechtenstein der Gemeinde Wien übergeben wurde, wird nicht nur ein werthvoller Besitz, sondern auch eine mahnende Erinnerung sein, daß es einstmals eine Malerschule gab, die echten Wiener Geist ausströmte, aus der uns die Luft des Wiener Waldes entgegenwehte, die für das Lieben und Leiden der Volksfiguren unserer Gegen- den einen lebensvollen, anheimelnden und überzeu- genden Ausdruck gefunden hatte und deren Meister aus dem Boden, den sie ihre Heimat nannten, und aus dem Volksthum, mit dem sie sich eins fühlten, ihre Kraft schöpften».2*0 Dem anonymen Verfasser ging es offensichtlich nicht in erster Linie um den künstlerischen Wert der Gemälde, sondern vielmehr um den «echten Wiener Geist», den diese ausströmen. Noch war eine künstlerische und qualitative Beurteilung zweitrangig; die alle Lebensbereiche umfassende geschichtliche Orientierung des Historismus stand im Vordergrund. ALBERT ILG, STREITER FÜR HISTORIE UND PATRIOTISMUS In den 1870er Jahren hatte der Historismus des 19. Jahrhunderts in Wien mit dem Bau der Ring- strasse seinen Höhepunkt erreicht. Das geschichtli- che Denken war nun soweit fortgeschritten, dass nicht nur ein Gebäudetypus an Zweck und Bedeu- tung des bereits bestehenden Typus erinnern konn- te und sollte, sondern auch Stilformen wie Gotik, Renaissance oder Barock durch ihre historische Prägung verabsolutierend und zweckbestimmt ver- wendet wurden.241 Nun konnte sich auch das Gross- 60
	        

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