Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2002) (101)

REZENSIONEN VOLKSTHEATER 1 -Redakteur Christian Schmid in einem Beitrag zur «Brauchbarkeit des Dialekts» hervor. Naef betont weiter die Bedeutung der Probenarbeiten. Sie sind «entscheidender als die Aufführung» für das Erle- ben der Gemeinschaft. Spezielle Kapitel sind der Seniorenbühne, den Aufführungen in der Landschaft und den Freilicht- spielen gewidmet. Thomas Hürlimann berichtet von der Inszenierung des «Einsiedler Weltthea- ters» auf dem Klosterplatz. Opulente Festspiele im Freien werden von der Kulturpolitik gerne als «identitätstiftend» gefördert. In Liechtenstein hat es aus Anlass grosser historischer Jubiläen immer wieder Festspiele gegeben, zum letzten Mal 1999 in Bendern, als Liechtenstein das 300-jährige Be- stehen des Unterlandes feierte. Während frühere Freilichtspiele die Gelegenheit boten, «in histori- scher Kostümierung malerische und moralische Überhöhung eines jeweils aktuell geforderten Zu- sammenrückens der Liechtensteinerinnen für Gott, Fürst und Vaterland» zu inszenieren, verliess Ma- thias Ospelt 1999 mit seinem Stück «Der Ritter vom Eschnerberg» die «theatralische Pathetisierung ei- ner gemeinsamen Geschichte» (Jürgen Schremser). Mathias Ospelt hatte einen Text geschrieben, der liechtensteinische Verhältnisse und das Publikum sehr wohl ansprach, aber auf die plumpe Herstel- lung einer Identität verzichtete. Die Aufführung sel- ber kann aber wohl ein Stück weit auch im oben geschilderten Sinne als gemeinschaftsfördernd be- zeichnet werden: Die Inszenierung wurde im Som- mer 1999 mit einer grossen Zahl von Laien- und Berufsschauspielern erarbeitet. Es gelang damals, das Freilichtspiel wieder fruchtbar zu machen. Schön wäre es, wenn die Pläne, die «Unterländer Festspiele» zu gründen, umgesetzt würden (ähn- lich wie die Lancierung der Werdenberger Spiele). Jürgen Schremser, der zwischen Vaduz und Wien pendelnde Philosoph und Historiker, geht in seinen Exkursen zum Volkstheater in Liechtenstein der Frage nach: «Was wird hier gespielt?» Er kon- zentriert sich dabei auf die Anfänge des Theater- spielens in Liechtenstein (es begann 1862, als sich in Triesen eine Gruppe von Arbeitern und Hand- werkern zu einer Theatergesellschaft formierte) 
und auf das Jungmannschaftstheater in Schellen- berg, aus dem sich - etwas verkürzt gesagt - schliesslich das erste Liechtensteiner Kabarett, das Kabarett Kaktus, und schliesslich 1970 das Theater am Kirchplatz entwickelte. Schremsers Text ist präzise und der wohl dichte- ste im ganzen Band. Zum ersten Mal wird ein be- deutendes Kapitel der Kulturgeschichte Liechten- steins aufgearbeitet. Besonders eindrücklich - ei- gentlich ein Lehrstück - ist hier die Geschichte des Schellenberger Jungmannschaftstheaters. Zwi- schen 1948 und 1968 entstand aus dem geistlichen Dorftheater, in dem unter der Leitung der Dorfleh- rer die «moralisch-erzieherische Qualität der Stü- cke» betont wurde, ein Experimentierfeld, auf dem schliesslich zu professionellem Theatermachen an- gestiftet wurde. Das «gemeinschaftsbildende» Ver- einstheater der Jungmannschaft wuchs über sich hinaus und wurde «kulturbildend». Fast etwas wehmütig könnte man werden, wenn man aus Schremsers Schilderungen heraus spürt, mit wel- chem Selbstbewusstsein damals Kultur selber ge- schaffen wurde, während die Erben der Nach- kriegsgeneration sich ihre Kultur vorzugsweise an- derweitig zu kaufen. Darin widerspiegelt sich nicht zuletzt etwas Wesentliches des Volkstheaters: We- niger entscheidend ist, was man sich leisten kann oder wie professionell und international renom- miert das Erstandene ist. Wirklich Freude (und meines Erachtens auch Kultur) macht, was man selber zustande bringt. 223
	        

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