Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2002) (101)

DIE FREMDENPOLIZEILICHE PRAXIS DISKRIMINIERUNG NACH GESCHLECHT Zwischen den formalrechtlichen Bestimmungen über den Familienzuzug und der fremdenpolizeili- chen Praxis bestand eine grosse Diskrepanz. Ver- waltungsintern hatte man schon vor Inkrafttreten der Verordnung eine Kontingentierung der Famili- enbewilligungen beschlossen. In der Folge wurde die Höchstzahl auf 30 Bewilligungen pro Jahr fest- gelegt. Mit der Kontingentierung wurde das Unter- laufen der Verordnung bewusst in Kauf genom- men, da vorauszusehen war, dass mehr Gesuche eingereicht würden als Bewilligungen zu vergeben waren. DISKRIMINIERUNG NACH NATIONALITÄT Die Kriterien, die bei der Ausscheidung der Gesu- che angewandt wurden, begründeten eine nach Nationalität diskriminierende Bewilligungspraxis. Im Widerspruch zur Verordnung, die bezüglich der Herkunft der Antragsteller keine Vorgaben machte, berücksichtigte man in der Praxis nur Gesuche von Österreichern, Deutschen, Italienern und Spaniern. Staatsangehörige aus «entfernteren Ländern» wur- den vom Familiennachzug ausgeschlossen.7 Ab 1971 wurde ihnen zwar die Möglichkeit des Fami- liennachzugs zugestanden, doch verlangte man eine doppelt so lange Wartefrist, also zehn Jahre. Arbeitskräfte aus «entfernteren Ländern» wur- den jedoch nicht nur beim Familiennachzug, son- dern auch bezüglich der Zulassung diskriminiert. Generell zugelassen wurden nur Hochqualifizierte. Unqualifizierte Arbeitskräfte erhielten ausschliess- lich für die Landwirtschaft, für Spitäler, Heime, An- stalten oder das Gastgewerbe eine Bewilligung. Diese Zulassungspraxis entsprach der schweizeri- schen und basierte auf einem Kreisschreiben vom März 1964. Sie wurde an der UNO-Konferenz ge- gen Rassismus und Rassendiskriminierung 1978 scharf kritisiert. Während die Schweiz sich dem Druck beugte und die diskriminierende Zulas- sungspraxis aufgab, hielt Liechtenstein ausdrück- lich daran fest. 
Was beim Familiennachzug besonders deutlich wird, ist die geschlechtsspezifische Diskriminie- rung, der Frauen im Ausländerrecht ausgesetzt waren. Familie wurde nur in Bezug auf das männ- liche Familienoberhaupt wahrgenommen. Entspre- chend dieser patriarchalen Grundhaltung schloss die Verordnung von 1968 verheiratete Auslände- rinnen explizit vom Familiennachzug aus. Ledige, verwitwete und geschiedene Ausländerinnen er- hielten in Ausnahmefällen die Bewilligung zum Nachzug ihrer Kinder. Die geschlechtsspezifische Diskriminierung führte besonders gegenüber ledi- gen Müttern zu unmenschlichen Härten. Ledige Ausländerinnen, die in Liechtenstein ein Kind zur Welt brachten, erhielten für dieses keine Aufent- haltsbewilligung. Es musste aus dem Land geschafft werden. Erst 1980 wurde diese Praxis aufgehoben und das in Liechtenstein geborene aussereheliche Kind mit der Geburt in die Aufenthaltsbewilligung der Mutter einbezogen. Die Gleichstellung der Frau- en bezüglich Familiennachzug erfolgte auf Geset- zesebene 1989. DREISTUFIGES ZULASSUNGSMODELL Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die frem- denpolizeiliche Praxis die Einwandernden in ver- schiedene Nationengruppen einteilte, die bezüglich Zulassung und Rechtsstellung unterschiedlich be- handelt wurden. Es lassen sich drei geografische Gruppen unterscheiden. Zur ersten, privilegierte- sten gehören die Schweizerinnen, die aufgrund der Freizügigkeit von 1941 bis 1981 keinerlei Be- schränkungen unterworfen waren. Sie waren auf dem Arbeitsmarkt den Inländerinnen gleichgestellt und konnten ihre Familie jederzeit nachziehen. Zur zweiten Gruppe zählen die traditionellen Rekrutie- rungsländer Österreich, Deutschland, Italien und am Rande Spanien. Für Arbeitskräfte aus dieser Nationengruppe schuf man 1968 die Möglichkeit des Familiennachzugs nach fünf Jahren. Aufgrund der Kontingentierung der Familienbewilligungen 172
	        

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