Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2002) (101)

Familienzuzug für auslän- dische Arbeitskräfte? Welchen Wirbel diese Frage in der Schweiz ausge- löst hat und immer noch auslöst, ist wohl zur Genüge bekannt. Bei uns bildet sie ebenfalls mehr oder we- niger das Tagesgespräch, auch wenn sie in der Presse nicht diesen Niederschlag gefunden hat. Schon des öftern wurde aus Kreisen der Arbeiter gewünscht, es solle im Mitteilungsblatt, des LAV zu dieser Frage Stellung bezogen werden. Im September wurde von einigen Arbeitern ein diesbezügliches „Eingesandt" eingereicht, das in der Septemberausgabe des Mit- teilungsblattes auch veröffentlicht wurde. Eine offi- zielle Stellungnahme des Verbandes blieb bis anhin jedoch noch aus. Es sprachen auch verschiedene Gründe für dieses Zuwarten. Doch nun wollen wir vom Verband aus zu dieser Sache Stellung nehmen. Dank der jahrelang anhaltenden Hochkonjunktur erfreute sich auch die liechtensteinische Wirtschaft einer stets zunehmenden Prosperität wie sie niemand vorausgeahnt und zu sagen gewagt hätte. Es ent- standen immer mehr Unternehmen und Betriebe, die sich im Sog der Entwicklung dementsprechend auch vergrößerten. Dies führte schon lange dazu, daß der Bedarf an Arbeitskräften bei weitem nicht mehr mit der einheimischen Arbeitskraft gedeckt werden konnte. Es mußten also ausländische Arbeitskräfte zugezogen werden und der Zustrom der Fremd- arbeiter begann. Schon gleich am Anfang, wurden nicht nur aus Arbeiter- sondern aus verschiedenen Kreisen Beden- ken gegen diesen Zustrom laut. Man verlangte größtmöglichste Zurückhaltung zu üben. Eine be- sondere Gefahr sah man in der Gewährung von Daueraufenthalten. Um Daueraufenthalte nach Möglichkeit zu vermeiden, ging man dazu über, auch einem ausländischen Arbeiter, der eine Liech- tensteinerin heiratete, den Daueraufenthalt zu ver- weigern. Einige Liechtensteinerinnen wurden von dieser Maßnahme schwer betroffen, denn sie mußten das Heimatland verlassen. Andere, die das Glück hatten, einen Ausländer zu heiraten, der vom Arbeit- geber als unabkömmlich erachtet wurde, konnten bleiben. Es soll diese Bemerkung jetzt nicht als bös- willig aufgefaßt werden, sondern einfach als Hin- weis darauf, 
daß im Prinzip gesehen solche Unter- schiede einfach nicht gerechtfertigt sind. Trotz aller Bedenken und der getroffenen zurück- haltenden Maßnahmen ging die Entwicklung weiter und der Zustrom der Fremdarbeiter wuchs von Jahr zu Jahr Eine teilweise Stagnation oder gar rück- läufige Tendenz zeigte sich lediglich bei den Grenz- gängern also gerade in jener Kategorie, die an und lur sich keine Überfremdungsgefahr für uns bedeutet. Durch den dauernden Anstieg der Zahl der Fremd- arbeiter, sah s.ch die Regierung im 
März i963 ver- anlaßt den Fremdarbeiterstand zu plafonieren. Diese Regelung der Regierung ist auf den 
31. De- zember 1964 befristet und es darf wohl in nächster Zeit einer Besprechung zwischen den Wirtschafts- verbanden und der Regierung und nach unserer Auf- fassung einer Erneuerung und Verlängerung dieser Flatonierung. Nun aber zur Frage des Familienzuzuges. Mas man sich zu dieser Sache stellen wie man will, als erstes gilt jedenfalls die Überlegung, ob eine Mög- besteht, ohne daß der Lebensraum und die Existenz des eigenen Volkes gefährdet wird. Um in dieser Beziehung für uns ein ungefähres Bild zu geben, seien folgende Vergleiche angeführt: Bundesrepublik Deutschland einschließlich Westberlin Wohnbevölkerung zirka 5 5 Millionen Flächenmaß zirka 248 000 km2 Fremdarbeiter zirka 900 000 ergibt Fremdarbeiter zur 
Wohnbevölkerung i,fJo ergibt Fremdarbeiter auf den km2 3,6 
Schweiz Wohnbevölkerung zirka j Millionen Flachenmaß zirka 4, oco 
km2 Femdarbeiter zirka 7JO ooc ergibt Fremdarbeiter zur Wohnbevölkerung 15% ergibt Fremdarbeiter auf den km2 18 Liechtenstein Wohnbevölkerung zirka 18 000 Flächenmaß 157 km2 Fremdarbeiter zirka 4000 ergibt Fremdarbeiter zur 
Wohnbevölkerung 11 fn ergibt Fremdarbeiter auf den km2 25 Diese Zahlen bieten nicht Gewähr für absolute Genauigkeit. Es sind die Grenzgänger aus der Schweiz und Vorarlberg nicht inbegriffen. Auch sind die hier niedergelassenen Ausländer ausgeklammert. Man kann die Berechnung anstellen wie man will, das Ergebnis ist immer ein bedenkliches und eines ist sicher, Liechtenstein steht in der Überfremdungsge- fahr an der Spitze. Wenn wir also dieLebensbelange des eigenen Volkes nicht in Frage stellen wollen, so ist für uns ein Familienzuzug nicht gegeben. Liechtenstein ist zu klein, als daß wir auch nur im ausgeglichenen pro- zentualen Verhältnis mit anderen Staaten diese Zu- wanderung mitmachen könnten. In Wirklichkeit stehen uns ja nur zirka 70 km2 Wohnraum und wirtschaftlich nutzbare Fläche zur Verfügung — der übrige Teil sind Berge und Wald. Diese 70 km2 braucht die jetzige Bevölkerung zu ihrem Lebens- raum, da ja auch noch der natürliche Bevölkerungs- zuwachs miteingerechnet werden muß. Wir wissen nicht genau, wieviele Familien es im jetzigen Zuzug wären, aber wir wissen, daß es im- mer mehr würden. Wer einmal A sagt, muß auch B sagen, das hat noch jede Erfahrung gelehrt. Es könn- te dann wohl auch kein Unterschied zwischen der Staatszugehörigkeit gemacht werden. Und so ist es wohl keine übertriebene Annahme, daß in wenigen Jahren mehrere hundert Familien zuziehen würden. Die Folgen, die ein solcher Zuzug für unser kleines Ländchen haben würde, sind im voraus nicht ganz abzusehen. Es müßten für diese Familien Wohnun- gen zur Verfügung gestellt werden. Wer übernimmt das? Der Unternehmer? Wenn ja, soll dann etwa der Liechtensteiner, in einer Mietwohnung ausziehen oder eine nicht aufzubringende Miete bezahlen müs- sen? Oder sollen Neubauten erstellt werden, was höchstwahrscheinlich im Gefolge hat, daß noch mehr Fremdarbeiter benötigt werden? Steht Bauland für die Erstellung dieser evtl. zusätzlichen Wohnungen zur Verfügung? Wenn ja, ist es richtig, wenn dieses Land zur Erstellung von Wohnungen für Fremde benützt wird und mancher liechtensteinische Arbeiter kaum oder gar nicht mehr die Möglichkeit hat, sich einen Bauplatz aus privatem Besitz zu erwerben? Familien brauchen eine ganz andere Betreuung als einzelne Personen. Es müßten für die Kinder auch Schulräume zur Verfügung gestellt werden. Haben wir für fremdsprachigen Schulunterricht Lehrperso- nal zur Verfügung? Wir glauben es müßte welches beigezogen werden evtl. auch mit Familie. Für die religiöse Betreuung der Fremdarbeiter — zumal der
	        

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