Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2001) (100)

«MUT HABEN, ANREGEN. DISKUSSIONEN ANFANGEN, DAS SIND SCHON AUFGABEN DES HISTORISCHEN VEREINS» sehe Verein denn eigentlich noch? Geht er der Auf- lösung zu? Man muss solche Ängste ernst nehmen und sie zu überwinden versuchen. Vom Vorstand aus ist noch ein rechtes Stück Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit nötig. Man kann nicht einfach einen Schalter umdrehen von der bisherigen zur jetzigen Auffassung. Das ist ein Prozess, den ich mit anderen zusammen noch einleiten kann. Ich glaube aber nicht, dass ich die grosse Wende noch als Vorsitzender erleben werde. Das ist ein Prozess, der relativ schwerfällig vorwärts geht. Da müssen wir langsam wie ein grosses Schiff eine weite Kur- ve fahren, um ein neues Ziel anzusteuern. Ich glaube, die neuen Ideen sind erst in den Köpfen der Vorstandsmitglieder. Wir hatten eine zweitägige Klausurtagung, um unseren Standpunkt zu suchen und zu bestimmen. Wir sind selbst noch etwas unsicher. Deshalb ist auch noch nichts nach aussen gedrungen. Manches ist auch für uns relativ neu. Eigentlich ist das 100-Jahr-Jubiläum Anlass, um über solche Fragen nachzudenken. Dazu kä- men auch die oben erwähnten Turbulenzen, die uns stark beschäftigt haben. Aus diesen Gründen haben die Vorstandsmitglieder gefunden, dass es an der Zeit ist, über den Verein und seine Bedeu- tung nachzudenken, der Frage nachzugehen, was wir denn eigentlich wollen. Veronika Marxer: Dazu möchte ich noch sagen, dass das Unbehagen im Vorstand allgemein ist. Wir sind einfach zu stark von administrativen Aufga- ben beansprucht. Was jedoch noch fehlt, ist eine klare Ausrichtung. Welche Schwerpunkte möchten wir beibehalten, was macht die neue Identität des Vereins aus? Wir sind uns diesbezüglich noch nicht im Klaren. Ich sehe den Historischen Verein in ei- ner kritischeren Distanz zum Staat, also eher als «NGO» («Non Governmental Organization»; Nicht- Regierungsorganisation) denn als Botschafter des Staates. Rupert Quaderer: Ich habe gegenüber der Regie- rung eine kritische Haltung bekommen aufgrund der Turbulenzen, die wir ausgefochten haben. Ich hatte das Gefühl, dass da kein oder wenig Ver-ständnis 
da sei für die Anliegen und den kulturellen Auftrag, den der Historische Verein hat. Wir haben schon Unterstützung bekommen vom Staat. Aber wir haben andererseits auch Leistungen übernom- men, die sonst der Staat hätte erbringen müssen, und zwar mit mehr finanziellem Aufwand. Wenn der Staat ein Amt hätte schaffen müssen, dem all diese Aufgaben zugeordnet worden wären, was der Historische Verein bisher gemacht hat, wäre es be- stimmt um einiges teurer geworden für den Staat. Der Beitrag des Staates ist also nicht eine Gnade, die er erweist; er ist schon eher in der Pflicht, wür- de ich sagen, für die Arbeit, die der Historische Verein leistet, einen finanziellen Beitrag zu erbrin- gen. Bisher ist das Jahrbuch auch etwas, das den Staat nach aussen gut vertreten hat. Etwa 140 Ex- emplare gehen als Tauschschriften jährlich ins Ausland an Bibliotheken, Institutionen, Universitä- ten, Vereine etc. Bis nach Osteuropa und in die Ukraine gehen diese Tauschschriften. Das ist auch eine PR-Arbeit für den Staat Liechtenstein. Früher sind sich der Historische Verein und der Staat auch personell sehr nahe gestanden. Wie Veronika (Marxer) es bereits andeutete, waren Re- gierungsmitglieder gleichzeitig Vorstandsmitglie- der beim Verein. Ich habe dies auch erlebt mit spä- teren Regierungen, als diese nicht mehr direkt im Vorstand vertreten waren. Wenn wir mit einem Problem an die Regierung herangetreten sind, so konnten wir ein gewisses Grundverständnis vor- aussetzen. Wir mussten nicht erklären, warum Ge- schichtsforschung wichtig ist. In dieser Beziehung hatte ich öfters den Eindruck, dass ein Bruch ein- getreten sei. Vielleicht liegt der Grund auch in ei- nem Generationenwechsel. Ich musste feststellen, der Historische Verein hat nicht mehr den gleichen Stellenwert bei den Verantwortlichen des Staates, zumindest nicht bei allen. Die Entscheidung, sich etwas auf Distanz zum Staat zu begeben, könnte ich unterstützen. Ich habe es schon gesagt, der Historische Verein sollte anstössig sein im doppelten Sinne des Wortes: An- stösse geben und anstössig im Sinne von unbe- quem sein. Dass wir uns öffentlich zu etwas äus- sern, das der Regierung nicht so gefällt, gehört 287
	        

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