Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2001) (100)

den offiziellen Akten sonst kaum auftauchen. Da haben Soldaten Briefe und Gesuche geschrieben. Frauengeschichtlich ist daran interessant, dass diese Soldaten nicht heiraten durften, solange sie militärpflichtig waren. Dann ergab es sich halt doch, dass nähere Beziehungen entstanden und dass dann eine Frau schwanger wurde von einem Militärpflichtigen. Was ist daraus für ein Elend ent- standen! Da gibt es Briefe, in denen das beschrie- ben wird. Es gibt oft Bereiche, an die man gar nicht denkt, wenn man an ein historisches Thema her- angeht. Bei der Militärgeschichte denkt man nicht an die Probleme von unehelichen Kindern. Aber für mich ging eine neue Welt auf, ein ganz anderer Teil einer sozial- und frauengeschichtlichen Ent- wicklung und mir wurde deren Bedeutung klarer. DEN GROSSEN «GUMP» SEHE ICH NICHT SO SCHLAGARTIG Veronika Marxer: Wenn wir die früheren Präsiden- ten und Vorstandsmitglieder des Historischen Ver- eins anschauen, dann waren das vielfach Land- tagsabgeordnete. Im Vereinsvorstand konnte auch durchaus ein Regierungsmitglied sitzen. Ich denke, der Verein hatte lange Zeit die Funktion einer Re- gierungskommission, die den Bereich Kultur und Wissenschaft unter sich hatte. Was heute stattfin- det und in meinen Augen auch nötig ist, ist eine Differenzierung und Verlagerung. Der Staat über- nimmt einen Teil der Tätigkeiten in eigener Verant- wortung. Dies bedingt, dass neue Institutionen ge- schaffen werden, so ist zum Beispiel von einem Amt für Kultur die Rede. Für die Forschung von Bedeutung wäre auch die Errichtung eines aus staatlichen Mitteln gespiesenen Wissenschafts- fonds. Wenn sich der Staat im Bereich Kultur und Wissenschaft verstärkt engagiert, bringt dies dem Historischen Verein Entlastung, vor allem admini- strativ. Es geht viel Zeit verloren mit der Übernah- me von Projektträgerschaften, mit dem Aushan- deln von Arbeitsverträgen und allem anderen, was da anfällt. Zudem ist der Verein nicht nur Arbeitge- ber, er ist auch Geldbeschaffer. 
Rupert Quaderer: Das kann ich bestätigen. Als Vor- sitzender des Historischen Vereins verwende ich einen grossen Teil meiner Zeit und Energie für di- verse Projekte, für die wir grössere Summen Geld beschaffen mussten. Daneben gab und gibt es an- dere Turbulenzen: Termine für den Abschluss von Projekten können nicht eingehalten werden. Dies bedeutet viel Aufwand. Ab und zu hatte ich den Eindruck, ich sei der Hauptdarsteller in der Operet- te «Der Bettelstudent». Das ist mühsam und kostet viel Kraft. Es ist nicht nur die Zeit, es hat mich psy- chisch stark belastet, ob ein Projekt, das bereits Hunderttausende von Franken gekostet hat, bei dem Leute beschäftigt sind, überhaupt zu Ende ge- führt wird. Ich werde als Vorsitzender mit einer 20- Prozent-Stelle entlöhnt, die Vorstandsmitglieder mit Null Prozent und der Geschäftsführer mit 50 Prozent. Ich habe keinen Freiraum gesehen, weder zeitlich noch psychisch, weitere Themen anzuge- hen. Im Gegenteil: Ich wollte von neuen Aufgaben nichts hören. Über solche Fragen wurde auch im Vorstand nachgedacht und diskutiert. Wir sind im Vorstand nicht in allen Bereichen der gleichen Auf- fassung, aber dass diese Projekte eine grosse Be- lastung darstellen, darüber herrscht im Vorstand unisono die gleiche Meinung. Wir müssen uns in Zukunft von einem Teil dieser administrativen Be- lastung befreien. Wir haben auch schon in dieser Richtung Entscheidungen gefällt. Ich bin der An- sicht, wir sollten noch weitere Erleichterungen schaffen für die Zukunft, um für andere Aufgaben Raum zu haben und uns mit anderen Fragen stär- ker auseinanderzusetzen. Selbstverständlich müs- sen wir im Vorstand eine Bandbreite des Konsen- ses finden, wohin der Verein gehen soll. Die einge- schlagene Richtung muss am Schluss auch von den Mitgliedern getragen werden, sonst scheitern wir. Es gibt auch gewisse Ängste im Vorstand und im Verein. Wenn wir alle Projekte abgeben, was bleibt dann noch übrig für den Verein? Es entsteht die Befürchtung, der Verein werde ausgelaugt oder leergepumpt. Ein Historischer Verein ohne Archäo- logie, kann denn der noch leben? Das Historische Lexikon wurde abgegeben! Und jetzt soll noch mehr abgegeben werden! Was macht der Histori- 286
	        

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